heute in bremen: „Er ist der bodenlose Bauer“
Interview Lukas Scharfenberger
taz: Herr Stollmann, was haben die Stadtmusikanten mit Till Eulenspiegel gemeinsam?
Rainer Stollmann: Die meisten Geschichten von Eulenspiegel behandeln den Widerspruch von Stadt und Land und die Stadtmusikanten wollen unbedingt vom Land in die Stadt. Es geht also um dasselbe Problem: die Feindschaft zwischen Land und Stadt.
Inwiefern verkörpert Till Eulenspiegel für Sie den Umbruch von Mittelalter zu Neuzeit?
Die städtische Gesellschaft beruht auf der Geldwirtschaft. Sie ist der Beginn des Kapitalismus. Die ländliche Gesellschaft beruhte auf dem Landbesitz: Wer am meisten Land hat, ist der mächtigste Mann. Die Geldwirtschaft brachte den Feudalismus in die Krise, weil Land plötzlich einen Preis hatte. Vorher war das nicht vorstellbar. Eulenspiegel verkörpert diesen Umbruch. Er ist ein Bauernsohn ohne Land, er ist der bodenlose Bauer. Was macht diese paradoxe Figur? Er spielt den Städtern, den Kirchen und den Feudalherren Streiche.
Sie sagen, „Eulenspiegel“ wäre das Epos der Deutschen und nicht „Die Nibelungen“?
Ein Epos beschreibt eine starke historische Wendung in der Geschichte einer Nation. „Die Nibelungen“ beschreibt den Hunneneinfall, das ist von mir aus auch ein Epos wert. Aber die Krise des Feudalismus und das Entstehen der städtischen Bürgerschaft markiert den größeren Umbruch.
Wie hat sich der Umbruch vom Feudalismus zur Bürgergesellschaft vollzogen?
Vortrag „Ein Vetter der Stadtmusikanten: Till Eulenspiegel in Bremen“, im Rahmen der Reihe „Wissen um 11“, Samstag, 11 Uhr, Haus der Wissenschaft
In Deutschland ging diese Krise am unglücklichsten aus. Auf dem Land ist es zunächst unerträglich geworden und die Bauern drängten in die Stadt. Allerdings setzten sich die Feudalherren 1525 im Bauernkrieg durch. Ihre Raubritter zogen aufs Land und quälten die Landbevölkerung. Nur in der Schweiz haben sich Städter und Bauern früh verbündet. Das führte zur ältesten und stabilsten Demokratie. In Deutschland hat der Feudalismus noch bis 1918 regiert.
Welches Verhältnis hatte Eulenspiegel in den Erzählungen zu Bremen?
Eulenspiegel war in den meisten Städten nur einmal, in Hamburg zweimal und in Bremen ganze viermal. Im Konflikt zwischen Stadt und Land hatte Bremen eine besondere Rolle, da sie eine der führenden Städte im deutschsprachigen Raum war. Es gibt ungefähr 70 Städte mit Eulenspiegel-Denkmälern, nur Bremen hat keines. Ich finde das bemerkenswert und das sollte man zur 200-Jahr-Feier der Stadtmusikanten erzählen. Damit die Menschen wissen, wo sie gerade sind: in einer Eulenspiegel-Stadt.
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