heute in bremen: „Unterschiede wahrnehmen“
Interview: Moritz Warnecke
taz: Frau Akgün, Sie schreiben, dass das Bild vom Islam in Deutschland von Stereotypen geprägt ist. Was meinen Sie damit?
Lale Akgün: Viele Deutsche wissen zu wenig über den Islam. Wenn sie Islam hören, denken sie ans Kopftuch, an kein Schweinefleisch essen oder fünfmal am Tag beten. Das trifft gewiss auf manche Muslime zu, aber längst nicht auf alle.
Sie sagen, dass von solchen Vorurteilen sowohl extreme Rechte wie der politische Islam profitieren. Wieso?
Rechte und der politische Islam haben beide ein großes Interesse daran, dass der Islam als unaufgeklärt wahrgenommen wird. Der politische Islam profitiert, wenn sich Muslime in der Gesellschaft ausgegrenzt und diskriminiert fühlen. Er kann sich nur ausbreiten, wenn der Islam orthodox ausgelegt wird, das heißt, der Koran wörtlich verstanden wird. Aufgeklärte Muslime lassen sich nicht vom politischen Islam beeindrucken oder instrumentalisieren.
Was bedeutet es, aufgeklärteR Muslim*a zu sein?
Vortrag und Diskussion „Gibt es aufgeklärte Muslime?“,19 Uhr, Bürgerhaus Weserterrassen, Osterdeich 70 b
Es gibt fromme Muslime, es gibt Kultur -Muslime, aber eben auch ehemalige Muslime. Für aufgeklärte Muslime ist es selbstverständlich, all diese Unterschiede wahrzunehmen und zu respektieren. Im orthodoxen Islam gibt es nur den einen Islam. Alle anderen sind Feinde. Deshalb darf der politische Islam in unserer Gesellschaft keinen Platz haben.
Was kann man dem entgegensetzten?
Den politischen Islam können wir nicht direkt angreifen. Dazu hat er zu mächtige Unterstützer, besonders im Ausland. Aber wir können ihn austrocknen. Es gibt ungefähr fünf Millionen Muslime in Deutschland. Die größte Gruppe davon lebt den Islam als Alltagsreligion. Mit ihnen müssen wir in Kontakt treten, damit sie nicht von ultraorthodoxen Islamanhängern abgeworben werden. Wir müssen ihnen aufzeigen, dass der politische Islam mit ihrem Leben in Deutschland überhaupt nicht kompatibel ist. Wir müssen den Menschen sagen: Setzt euren Verstand ein, der Islam kann auch eine liberale tolerante Religion sein. Wenn wir das nicht hinbekommen, wird der Islam immer stärker als Fremdkörper wahrgenommen werden, sodass er selbst den Anlass für die Islamfeindlichkeit gibt.
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