heute in bremen: „Die Leute standen im Weg“
VORTRAG Ein Historiker erklärt, was die Vegesacker Kirchengemeinde mit Seenotrettung zu tun hat
48, Historiker und Fotograf, hält regelmäßig Vorträge über die Geschichte Vegesacks.
taz: Herr Kropp, hat die Kirchengemeinde Vegesack vor 150 Jahren verhindert, dass die Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) gegründet wird?
Torsten Kropp: Nein. Ihr Gründer Adolph Bermpohl wollte das damals über die Kirche in Vegesack initiieren. Aber die Nummer war zu groß für die Gemeinde. Um 1850 waren ja die Kirchengemeinden für die Armenfürsorge zuständig. Und wenn man selbst genug Arme hat, dann wünscht man sich nicht noch mehr Arme dazu. Bermpohls Idee wurde von der Gemeinde zwar für gut befunden, vom Pastor aber für unfinanzierbar gehalten. Der musste wegen der damaligen Werftenkrise ohnehin viel Arme versorgen. Und das ging damals ja nur über Spendenbasis. Da konnte nur das ausgegeben werden, was auch an Spenden einging.
Warum hatte Bermpohl ausgerechnet diese Bremer Gemeinde gefragt?
Er wohnte in Vegesack – da ist das naheliegend. Er ist öfters zur See gefahren und war auch Lehrer für Nautik. Auf eine seiner Fahrten ist er verunglückt und überlebte nur mit knapper Not. Wer an den Strand gespült wurde – so war das damals üblich – der wurde erschlagen. Die Ladung des Schiffes gehörte demjenigen, der es gefunden hatte. Die Leute, die so eine Katastrophe überlebten, standen da nur im Weg.
Bevor die DGzRS da war, gab es nur Mord und Totschlag?
Ich würde es eher Piraterie nennen. Jahrhundertelang war es so: Wer auf einem Schiff ist, der begibt sich in Gottes Hand – und Gott wird wissen, was zu tun ist. Erst mit der Aufklärung änderte sich dieses Bild: Die Gesellschaft rückte weiter von der Kirche ab und bildete sich eine eigene Meinung. Im Zuge dessen kam der Gedanke auf: Der einzelne Seefahrer, der mit dem Schiff kentert, ist auch noch etwas wert und hat ein Recht darauf, weiterzuleben.
Die DGzRS ist 1865 in Kiel gegründet worden. Hatte die Kirche da mehr Geld?
Nein, die Gründung war unabhängig von kirchlichen Institutionen. Und die DGzRS hat heute tendenziell gar nichts mehr mit der Kirche zu tun. Es gab damals nicht nur in Bremen Bestrebungen, eine DGzRS zu gründen, sondern auch in Emden, Hamburg, Lübeck, Rostock, Stralsund oder Danzig. Da lag Kiel in der Mitte.
Warum heißt es dann überhaupt „christliche Seefahrt“?
Weil der einzelne Seefahrer seine Schicksal in Gottes Hand legte. Heute gilt: Wer auf eine Schiff geht, der kommt auch wieder runter. Bis vor 200 Jahren war das eher die Ausnahme.
INTERVIEW: JAN ZIER
Sonntag, 31. Juli, (Tag der Seenotretter), 15 Uhr, Stadtkirche Vegesack, Kirchheide 10
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