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heute in Bremen„Es ging sehr ungerecht zu“

VORTRAG Ein Historiker erklärt, was die Vegesacker Kirchengemeinde mit Seenotrettung zu tun hat

Torsten Kropp

48, ist Historiker und Fotograf und hält regelmäßig Vorträge über die Geschichte Vegesacks.

taz: Herr Kropp, was hat denn die Kirchengemeinde Vegesack mit der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGZRS) zu tun?

Torsten Kropp: Der Vegesacker Adolph Bermpohl hat vor 150 Jahren versucht, genau hier ein Seenotrettungswerk zu gründen, und damals waren die Kirchen für das Thema Soziales zuständig.

Und warum hat’ s nicht geklappt?

Weil die Kirche genug damit zu tun hatte, sich um ihre eigenen Armen zu kümmern. Damals gab es eine Werftenkrise und eine extrem hohe Arbeitslosigkeit. Die Kirche hatte mehr Ausgaben als Einnahmen, die konnte sich nicht auch noch um Seenotrettung kümmern. Also wurde die DGZRS in Bremen als private Gesellschaft gegründet, was wohl auch gut so war.

Warum?

Weil der Verein unabhängig arbeiten konnte, niemand konnte ihm in die Arbeit reinreden. Ich versuche, generell zu vermitteln, dass es gut ist, dass die Kirche nicht mehr für die Sozialleistungen der Menschen zuständig ist.

Inwiefern ist das gut?

Weil die Hilfsbedürftigen davon abhängig waren, wie viel Geld eine Kirchengemeinde hatte. In armen Gemeinden bekamen sie weniger als in den reichen. Es ging also sehr ungerecht zu. Und 1870 war die Kirche dann pleite, da gab’s nur noch Spenden. Es war ein Segen für sie und für die Menschen, dass kurz ­darauf Bismarcks Sozialgesetze kamen.

Und was gibt es bezüglich der Seenotrettung in Vegesack zu sehen?

Nicht viel zur Seenotrettung, aber zur Sozialfürsorge der Kirche in Vegesack. Dass Menschen davon abhängig wurden, hatte hier sehr oft mit Seenot zu tun oder mit der Arbeit auf Werften. Wenn einer der Seeleute auf dem Meer blieb oder ein Werftarbeiter verunglückte, waren die Witwen sofort ein Sozialfall und kamen ins Armenhaus. Wenn es nicht gerade regnet, zeige ich den Leuten auch das einzige der ehemaligen Armenhäuser, das in Vegesack noch steht. Interview: SCHN

15 Uhr, Stadtkirche Vegesack

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