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herr tietz macht einen weiten einwurfLust aufs Latschen

FRITZ TIETZ kämpft mit Spaziergängen gegen die Fettness, nicht nur weil sein Auto gerade in der Werkstatt steht

Da machte sich schon eine kleine Nervosität in mir breit, als der ebenso einsilbige wie sorgfältige Herr Warnecke, Kfz-Sachverständiger des hiesigen TÜV, sich gestern Vormittag meinen alten Citroën vornahm. Wie er da emsig, aber wortlos erst innen alle Blinkerhebel und Lichtschalter betätigte und prüfungshalber sogar einmal kurz die Hupe auslöste. Wie er dann stumm in den Motorraum guckte und so besorgniserregend gründlich mit seiner Stablampe darin herumleuchtete. Wie er anschließend, und immer noch eisern schweigend, auch unter den Wagen sah, hier gegen den Unterboden klopfte, da am Auspufftopf herumkratzte, dort an den Rädern rüttelte. Was wenn nun seine Mängelliste so gepfeffert ausfiele, dass eine Reparatur des Citroëns sich nicht mehr lohnte? Ich also plötzlich nur noch Fußgänger, Radfahrer und Bus-User wäre. Oder Bus-Loser, wie man bei den erschütternd miesen Nahverkehrsangeboten hier auf dem Land wohl kalauern muss.

Ich war also etwas beunruhigt. Und war es leider auch dann noch, nachdem Herr Warnecke aufgehört hatte, Mr. Wortkarg zu sein und mir endlich das Ergebnis der Hauptuntersuchung mitteilte. Das so lautete: erhebliche Mängel, Prüfplakette nicht erteilt, Wiedervorführung erforderlich. Der stille Kfz-Experte hatte an meinem Citroën (Erstzulassung 1996, Kilometerstand 143.343) schwerwiegende Defekte am Scheibenwischer hinten (Wischblatt verbraucht), an den Bremsscheiben vorne (eingelaufen/angerostet) und an der Hinterachsaufhängung (Verschleiß Gummilager) festgestellt – um nur mal einige der „Abweichungen von den Vorschriften“ zu nennen, die „zu einer Verkehrsgefährdung führen“, wie es im TÜV-Bericht formuliert ist. Und hier die übrigen Mängel: Abblendlicht (Befestigung nicht vibrationsarm), Batterie (lose), Auspuff (leicht undicht) und noch einmal Auspuff (Wärmeabschirmblech lose). Immerhin, in die Werkstatt fahren durfte ich den Citroën noch.

Ich erwähne das auch deshalb, weil man ja jetzt jeden Tag mindestens 3.000 Schritte gehen soll. Zusätzlich, wie es die Kampagneros von „3.000 Schritte extra“ vorschlagen, eine die Sportlichkeit und gesundheitliche Prävention fördernde Initiative des Gesundheitsministeriums. „Deutschland wird fit! Machen Sie mit!“, so lautet der entsprechende Befehl aus dem Hause Seehofer. Mit dem wohl insbesondere der gesetzlich versicherte Pöbel dazu bewegt werden soll, sich der wirtschaftlichen Genesung seiner Krankenkassen zuliebe etwas ausgiebiger zu bewegen – und also täglich ein paar Schritte mehr zurückzulegen als das obligatorische Dutzend zwischen Couch und Kühlschrank. Bedenkt man, was früher so alles an Fettness bekämpfenden Fitnessaktionen ins Leben gerufen wurde, kommt einem die aktuelle sehr lässig vor. Mit Schrecken erinnere ich mich noch jener Trimm-Dich-Bewegung in den 70ern samt ihren mit diesen schrecklichen Foltergeräten gesäumten Pfaden. Was sind dagegen 3.000 tägliche Schritte? Lächerlich! Allein der entspannte Fußweg gestern Abend von der Autowerkstatt (wo sie mir jetzt gerade einen Kostenvoranschlag aushecken) zurück nach Hause dürfte mir ein paar tausend Schritte mehr abverlangt haben.

Eigentlich benötige ich aber weder TÜV noch Gesundheitsministerium als Motivatoren für solche, den Geist und Körper gleichermaßen erquickenden Spaziergänge, wie ich sie schon seit Jahren unternehme. Und damit übrigens anfangs einiges Aufsehen auslöste bei meinen Mitbürgern hier auf dem Land. Als ich die ersten Male über die Dorfgrenzen hinaus und fast jeden Morgen entlang der Kreisstraße zur drei Kilometer entfernten Tanke marschierte (um mich mit meinem Tagesbedarf an Zigaretten einzudecken), kam es schon einige Male vor, dass Bekannte anhielten und mir anboten, mich in ihren Autos mitzunehmen – und verwundert reagierten, wenn ich ablehnte. Mittlerweile hat man sich daran gewöhnt, dass da einer aus reinem Vergnügen durch die Gegend latscht.

Könnte allerdings gut sein, dass demnächst auch mal ein unfreiwilliger Fußweg dabei ist. Hängt davon ab, was die TÜV-Tauglichkeit meines Citroëns kostet. Und ich, falls zu teuer, ganz freiwillig auf ihre Wiederherstellung verzichte.

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