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heimspiele Gastgeber Holland hofft auf den Durchbruch bei der Europameisterschaft, dabei gibt es den an der Basis längst, denn immer mehr Mädchen aus Utrecht oder Breda kickenVerweiblichung des Löwen

aus Rotterdam Tobias Müller

Am Ende johlten die Fans, und es gab Schüsse aus der Konfettikanone. Mit einer feierlichen Zeremonie wurden letzten Samstag im Rotterdamer Stadion Het Kasteel Spielerinnen und Publikum auf die bevorstehende EM eingestimmt. Zu Papierfetzen in den Landesfarben lief das Team, das soeben im letzten Testspiel den Waliserinnen eine 5:0-Abreibung verpasst hatte, zurück auf den Platz. Die Sonne schien, die Stimmung war gelöst, und dass Wales nur ein Aufbaugegner war, tat ihr keinen Abbruch. „Wir spielen immer besser“, freute sich Bondscoach Sarina Wiegman, also die Na­tio­naltrainerin.

Von Sonntag an bis zum 6. August findet mit der „WEURO“, von 12 auf 16 Landesverbände erweitert, erstmals ein großes Frauenfußballturnier in den Niederlanden statt. Die Gastgeberinnen, die in der Vorrunde auf das stark eingeschätzte Norwegen, auf Dänemark und Belgien treffen, gehören nicht zum Kreis der Favoritinnen, nicht wie Deutschland, Schweden, Frankreich und England. Zugleich aber reiten sie auf einer Euphoriewelle, die sich aus drei Quellen speist: der Freude über die Heim-EM, der Erfahrung von 2009 sowie dem bemerkenswerten Aufstieg des Frauenfußballs. Kein anderer Sport ist in den Niederlanden in den vergangenen Jahren derart stark gewachsen: Die Mitgliederzahlen stiegen von 80.000 (2005) über 120.000 (2010) auf 153.000 im Jahr 2016. Vor allem im Kinderbereich ist der Zulauf stark; inzwischen kickt in der U9- Altersklasse jede zehnte Spielerin in einer reinen Mädchen-Meisterschaft. Es erscheint fast ein bisschen bizarr, dass der Verband KNVB erst 1971 und auf Drängen der Uefa sein 1938 ausgesprochenes Verbot des Frauenfußballs offiziell kassierte und den alternativ entstandenen Nederlandse Damesvoetbalbond integrierte.

Auffällig ist, dass sich der Aufschwung auch während zuletzt wechselhafter Ergebnisse der Oranje Leeuwinnen fortsetzte. Bei der EM 2013 war nach der Vorrunde Schluss, bei der WM 2015 im Achtelfinale gegen Japan. Die Qualifikation für Olympia 2016 wurde verpasst. All dies verblasst allerdings neben der noch weithin präsenten Erinnerung an den Sommer vor acht Jahren, als die Niederländerinnen bei der EM in Finnland wie aus dem Nichts im Halbfinale landeten und knapp an England scheiterten. Dieser Erfolg war eine Initialzündung: Zum ersten Mal wurde ein Match live im TV ausgestrahlt, was heuer, bei der Heim-EM, beinahe schon selbstverständlich ist. Erstmals lösten die Spielerinnen damals auch das aus, was von den Turnieren der Männer bekannt ist und im Land gemeinhin oranje-gekte (Orange-Verrücktheit) genannt wird.

Die Finalisten

2013 BRD – Norwegen 1:0

2009 BRD – England 6:2

2005 BRD – Norwegen 3:1

2001 BRD – Schweden 1:0

1997 BRD – Italien 2:0

1995 BRD – Schweden 3:2

1993 Norwegen – Italien 1:0

1991 BRD – Norwegen 3:1

1989 BRD – Norwegen 4:1

1987 NOR – Schweden 2:1

1984 Schweden – England 4:3

Langfristig gab der Erfolg von 2009 der Entwicklung des Frauenfußballs einen enormen Schub. Zwei Jahre zuvor erst war die Ehrendivision eingeführt worden. Das war ein wichtiger Schritt in Richtung Professionalisierung, wobei auch heute längst noch nicht alle Spielerinnen vom Fußball leben können. Dennoch zeigt sich auch in den Niederlanden der internationale Trend aus Deutschland, Frankreich oder England, dass zunehmend auch die großen Clubs aus dem Männerbereich eigene Frauenteams aufbauen. Ajax Amsterdam, seit 2012 dabei, konnte in diesem Jahr erstmals den Titel gewinnen.

Im internationalen Vergleich kann die niederländische Meisterschaft aber nicht mithalten, vor allem finanziell nicht – was sich auch am aktuellen Kader des Nationalteams zeigt: 13 von 22 Spielerinnen im Aufgebot gegen Wales standen im ­Ausland unter Vertrag, die meisten in England, aber auch in ­Frankreich, Deutschland und Schweden. Arsenal London ist Hauptarbeitgeber mit gleich vier Spielerinnen, darunter Stürmerin Vivianne Miedema und Spielmacherin Daniëlle van de Donk. “Viele Mädchen haben den Schritt ins Ausland gemacht, dadurch ist das Niveau gestiegen“, sagt Offensivstar Lieke Martens, die selbst beim schwedischen FC Rosengård in Malmö spielt.

Angetan von der Entwicklung zeigte sich beim letzten Test gegen Wales Annemarie Postma, die dem Team seit Jahren folgt und eine der profiliertesten Kennerinnen des niederländischen Frauenfußballs ist. Bei der EM sieht sie das Auftaktmatch am Sonntag gegen Norwegen als wegweisenden „Testfall“. Dieser werde zeigen, wie weit die erneuerte Elftal nach dem Abschied einiger Spielerinnen sei. Als Titelkandidatin sieht sie das Team nicht, das Halbfinale sei aber möglich.

Postma veröffentlichte im Frühjahr das Buch „De Oranje Leeuwinnen“, das die Entwicklung des Teams und die Umstände des Frauenfußballs aus der Nähe zeigt. Die WEURO könnte, hofft Postma, zum „Durchbruch“ führen: „Das Turnier hat auch außerhalb des Fußballs große Bedeutung. Wobei es natürlich zur verpassten Chance werden kann, wenn es für uns schlecht läuft.“

Die aktuelle Generation, so Postma, könne die Früchte der vorherigen ernten. So sieht das auch Exnationalspielerin ­Leonne Stentler, 31, die im vergangenen Jahr in einem VICE-Interview erklärte: „Wenn ich Leuten erzählte, dass ich Fußball spiele, fragten sie, ob ich ein Junge sei. So wurde ich immer im niedrigsten Team eingesetzt. Ich musste echt zeigen, dass ich gut spielen konnte, dann kam ich langsam nach oben.“ Annemarie Postma indes retweetete wenige Tage vor Turnierbeginn triumphierend das aktuelle Titelbild von Voetbal International, dem niederländischen Pendant zum kicker, das mit Vivianne Miedema, Jackie Groenen, Shanice van de Sanden und Jill Roord gleich vier Protagonistinnen zeigt.

Interessant ist, dass auch die meisten Journalisten, die über das Oranje-Team schreiben, männlich sind. Postma bemerkt, dass viele von ihnen noch immer in einer zynischen, negativen Art über kickende Frauen schrieben. „So gucke ich mir doch auch kein Männerspiel an!“ Bei der EM werde die Presse­tribüne voll sein, meint sie. „Doch viele waren zum letzten Mal vor einem Jahr dabei, und sind noch auf dem gleichen Stand.“

Optimistin „Statistisch ist die Chance sehr klein, dass wir Europameisterinnen werden. Aber trotzdem setzen wir darauf!“SARINA WIEGMAN, HOLLANDS TRAINERIN

Bezüglich der EM-Chancen der Gastgeberinnen bleibt Trainerin Wiegman bewusst auf dem Boden. Norwegen zum Auftakt, und im Viertelfinale aller Wahrscheinlichkeit gegen Deutschland oder Schweden, so lauten die hohen Hürden, die vor den Gastgeberinnen stehen. „Statistisch ist die Chance sehr klein, dass wir Europameisterinnen werden. Aber trotzdem setzen wir darauf!“

Natürlich müssten die Niederländerinnen dafür über sich hinauswachsen, wozu Begeisterung und Elan nötig wären. Beides ist kurz vor dem Turnier vorhanden. Die Gruppenspiele der Löwinnen sind seit Wochen ausverkauft. Ausrüster Nike präsentierte pünktlich zum Turnierstart das neue Trikot, auf dem das KNVB-Wappentier in eine Löwin verändert wurde. „Eine Art von Respekt, den wir selbst errungen haben. Eine Krönung“, begrüßte Daniëlle van de Donk den Schritt. Trainerin Wiegman, selbst 104-mal für Oranje aktiv, kommentierte: „Es zeigt, wie erwachsen der Frauenfußball nun behandelt wird. Dadurch wird ein enormes Signal gegeben.“

Dem Stickerfabrikanten Panini ist die WEURO17 nun auch erstmals Anlass für ein offizielles Album. Die Sammelbilder sind im ganzen Land erhältlich. Auf dem Albumcover prangt der Schriftzug „The continued rise of women’s football“.

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