harald fricke über Märkte: Christliche Peepshow
Mit den Glanzeffekten von Eitempera begeistert das „Abendmahl“ noch immer Schweden und Schwaben
Nein, reserviert hatte ich nicht. Doch die Frau am Counter war freundlich und gab mir einen Termin: „Sie könnten um 16.40 Uhr mit der spanischen Führung hinein, das kostet einen Euro extra. Oder Sie nehmen eine Stunde später Tickets zu 6,50 Euro, ohne Führung. Aber achten Sie darauf, dass Sie pünktlich sind, am besten, Sie sind 15 Minuten vorher da, man kann nie wissen.“
Sechs Stunden gehen in Mailand schnell vorbei. Eis essen, im Schlurfschritt mit tausend anderen Touristen durch die Kathedrale, rüber zur Scala, durch die Arkaden, alles viel schicker als Berlin, nur die Modegeschäfte haben lange Mittagspause, aber ist eh zu teuer. Gegen vier ein Blick auf die Uhr, ob man gut in der Zeit liegt, und wieder um 17.20 Uhr, etwas nervös nun, denn die Kirche ist einige Minuten Fußweg entfernt. Wäre ja zu ärgerlich, wenn es nicht klappte und die Fahrt abends weiterginge ohne Leonardo da Vinci.
Seit im Mai 1999 „Das Abendmahl“ nach 20 Jahren restauriert wurde, ist es eines der am meisten besuchten Gemälde der Welt. Täglich stehen in der Kirche Santa Maria della Grazie tausende an, um in natura zu besichtigen, was im letzten Vierteljahrhundert nur auf Postkarten oder in Bildbänden zu sehen war. Die 25 Leute, die sich um 17.45 Uhr am Eingang versammeln, sind entsprechend gut vorbereitet. Das süddeutsche Ehepaar mit Sohn hat sich Kunstführer gekauft, in denen ausführlich geschildert wird, welche Mühen nötig waren, bis das Tischtuch wieder so weiß war, wie es Leonardo damals haben wollte; die beiden Schweden haben ein Buch mit Studien anderer Renaissancemaler zum Vergleich mitgebracht. Für die in der Mehrzahl angereisten Italiener gehört die „Abendmahl“-Visite zu den staatsbürgerlichen Pflichten, das ist wie Kommunion, nur ohne Beichte. Dem, der nie da war, wird auch nicht vergeben.
Ein rotes Licht über der Tür signalisiert, dass man eintreten kann. Zunächst geht es durch einen schleusenartigen Korridor, an dessen Wänden in mehreren Sprachen nacherzählt wird, dass es sich beim „Abendmahl“ um ein Meisterwerk der Malerei handelt, dazu Biografisches aus Leonardo da Vincis Leben. Zum Lesen bleibt keine Zeit, schon leuchtet eine neue Lampe, öffnen sich wie bei einem Tresor zwei dicke Glastüren. Dahinter ist es dunkel. Rechts das direkt aufs Gemäuer gemalte „Abendmahl“, davor Aggregate, die die Luftfeuchtigkeit aus dem Raum ziehen. Sonst nichts. Wie auf Kommando starren 25 Augenpaare in eine Richtung, auf diese eine Wand; Väter deuten mit den Zeigefingern auf Details und sagen feierlich „Lukas“, „Matthäus“ oder „Judas“, das muss für ihre Kinder als Erklärung reichen. Schließlich geht alles sehr schnell, nach zehn Minuten ruft ein Museumsangestellter aus der gegenüberliegenden Ecke, dass die Zeit um sei. Vielleicht hätte das Leonardo-Management den Saal in Kabinen plus Sehschlitze unterteilen sollen: als Kunstpeepshow mit christlichem Motiv.
Wer will, kann draußen weiter Bildbände und Postkarten kaufen. Das wollen die meisten. Die Schweden stöbern in Postkarten mit Ausschnitten vom „Abendmahl“, Vater Schwabe interessiert sich für ein Mousepad mit der biblischen Szene. Es gibt Puzzles, eine CD mit Kantaten aus der Zeit, als Leonardo da Vinci malte. Schade dass Jesus keine 15 Jünger um sich hatte, es wäre sicher ein prima Schachspiel geworden. Die Souvenirs gehen weg wie nichts, irgendwas will jeder mitnehmen, um sich den besonderen Moment zu erhalten. Aber da ist noch etwas anderes, eine Ahnung: Erst in der vollen Produktpalette wird das Bild, das man eben noch verschwommen im dunklen Raum wahrgenommen hatte, zum sagenumwobenen Schatz. Mehr noch, in seiner Warenförmigkeit wird das Meisterwerk überhaupt sichtbar.
Spricht nicht schon die Vergangenheit des Bildes dafür? Zur Dekoration der Kirche durch den Herzog von Mailand, Ludovico Sforza, in Auftrag gegeben, hatte Leonardo an ein Spektakel gedacht – und auch so gehandelt. Damit die Farben intensiv leuchten, wurde „Das Abendmahl“ nicht mit trockenen Pigmenten aufgetragen, sondern als Eitempera angemischt. Das ergab einige Glanzeffekte, aber nur für kurze Dauer, dann lösten sich die Schichten auf. Seit 1517 zerfällt das Bild, seine Ausnahmestellung wäre ohne die unentwegten Rettungsversuche gar nicht zu denken. Weil es nicht auf Dauer angelegt ist, überdauert es die Jahrhunderte, als unendliche Geschichte seiner Restaurierung. Und weil das Bild wegen dieser Arbeiten dem Publikum lange Zeit verborgen blieb, wurde auch der Mythos immer größer: Seine Rarität ist das Ergebnis von Angebot und Nachfrage. Für die Nachfrage gibt es Wartefristen, das Angebot regelt der Mailänder electa-Verlag im Alleinvertrieb. Leonardo wäre mit dieser Lösung zufrieden gewesen, Warhol ganz bestimmt.
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