großraumdisco: Lasst sie Kuchen essen: Subkultur kämpft an der Kaffeetafel um Räume
Kurz vor Weihnachten spielen Bremer Krawall-Bands für die technische Aufrüstung eines Jugendhauses. Ein Hauch von Klassentreffen – nur lauter
Metal, Hardcore und Stoner Rock mit Kaffee und Kuchen? Am Sonntagnachmittag? Ist das noch Hardcore? Zumindest steht es so geschrieben in der Ankündigung für das vorweihnachtliche Konzert im Bremer Haus des Bunds Deutscher Pfadfinder_innen (bdp Haus). Das alte Backsteingebäude liegt ein wenig außerhalb der Innenstadt, ein ganzes Stück weg von den Kneipen und Clubs des Steintorviertels.
Um 17 Uhr soll es losgehen, drei Bremer Bands stehen auf dem Programm, von dröhnendem Stoner Rock über Endzeit-Krach bis zu Post Metal mit Geschrei. Eingeladen hat die seit ungefähr einem Jahr aktive Konzertgruppe TNS-Shows, was für „Take No Shit“ steht, sinngemäß: Wir lassen uns keinen Scheiß gefallen! Am Tresen gibt es Kaffee und verschiedene hausgebackene Kuchen, einige davon vegan. Außerdem stehen Glühwein und Kakao auf Hafermilchbasis auf der Karte, je nach Neigung auch mit Schuss. Bier gibt es natürlich auch.
Im Nebenraum stehen Sofas und ein Kicker, klassisches Freizeitheimambiente also. Das Publikum ist dem musikalischen Spektrum entsprechend recht gemischt, man kennt sich über die Szenegrenzen hinweg. Die Stimmung ist entspannt und hat ein bisschen was von einem Klassentreffen.
Es geht nicht nur um Musik: Als Solikonzert ist die Sause angekündigt, und das bedeutet in diesem Fall Geld für Infrastruktur. Das bdp-Haus soll eine eigene Backline bekommen. Also Lautsprecher und so, damit die verschiedenen Konzertgruppen nicht immer eine Anlage mieten müssen. Dafür verzichten heute alle Bands auf Gage.
Der kleine Konzertraum, in den vielleicht etwas mehr als 100 Personen passen, ist während der Shows gut gefüllt. Eine Bühne gibt es zwar, die dient aber als Podest für das Publikum – die Bands spielen am anderen Ende des Saals auf Augenhöhe mit dem Publikum. Starkult war in der Szene zumindest in ihren idealistischen Anfängen so verpönt wie Fleischkonsum, Kommerz und jedwede Form von Diskriminierung. Übrigens: Auch Matineen, also Nachmittagskonzerte, haben in der Szene eine lange Tradition. Geradezu legendär sind die Sonntagsmatineen der noch viel legendäreren New Yorker Punk-Brutstätte CBGB’s in den 80er Jahren, die lokalen und durchreisenden Bands eine Bühne boten.
Das bdp-Haus. Seit 1983 nutzt der Bund Deutscher Pfadfinder_innen das über 100-jährige Haus in Bremen. Die Räume können für Workshops und Seminare genutzt werden, es gibt Kochtreffs und eine Fahrradwerkstatt. Seit vielen Jahren finden dort nichtkommerzielle Konzerte auch internationaler Bands statt.
Zurück nach Bremen. Skeithan eröffnet den sonntäglichen Reigen: ein Trio mit Schlagzeug, Gitarre und Stimme. Die Vokalistin schreit sich zu dichten Gitarrenakkorden die Seele aus dem Leib, in manchen Stücken wechselt sie in eine verblüffend zarte Singstimme. Danach spielen Eta Lux im Geiste der Wüstenrocker Kyuss ein Set mit rollenden Riffs und viel Wahwah-Effekt. Judas Hengst eifern dann zum Abschluss mit viel Wucht Apokalyptikern wie Neurosis oder Isis nach. Atempausen gibt es eigentlich nur während des Umbaus. Zeit, sich beim „Merch“, wo es Tonträger und derlei mehr zu erstehen gibt, umzusehen.
Gegen 22 Uhr endet der Abend mit einer Tombola, wo es T-Shirts, Schallplatten, Eintrittsgutscheine und Tragetaschen mit den programmatischen Aufdrucken „Heavy Metal is not a boys club“ und „Hardcore is not a boys club“ zu gewinnen gibt. Ein kleine Erinnerung daran, dass es auch im ausgehenden Jahr 2024 keine Selbstverständlichkeit ist, dass der egalitäre Anspruch der Szene Wirklichkeit wird. Immerhin stehen auch an diesem Sonntag vor allem Männer auf der Bühne. Wie dem auch sei: Die glücklichen Losbesitzer und Losbesitzerinnen werden fast so ausgelassen und liebevoll gefeiert wie die Bands. Wobei der Hauptgewinn ja eigentlich auch an alle geht: Es ist nämlich genug zusammengekommen für zwei Gitarrenboxen und noch ein bisschen mehr.
In Zeiten, in denen einige wenige Superstars Stadien füllen, während subventionierte Kultur mit künstlerischem Anspruch zunehmend in den Fokus sparwilliger Politik gerät, werden die Räume zusehends enger für widerborstige Kultur und für Begegnungen jenseits von kapitalistischer Verwertungslogik. Davon abgesehen, dass es auch um Möglichkeiten für Musikerinnen und Musiker geht, Neues auszuprobieren. Andreas Schnell
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