green card ist da: WIRTSCHAFT MACHT POLITIK
Wie sieht das neue Deutschland aus? Freundlich, herzlich, spannungsarm. Im Kanzleramt verkünden Politik und Wirtschaft eine neue Leitline der modernen Arbeitswelt: die Green Card. Hernach klopft IBM-Old-Boy Staudt Thirtysomething-Minister Bury anerkennend auf die Schulter. Gut gemacht. Eine unverschämt offene Geste.
Ab sofort, so die Botschaft, gibt nicht mehr die Politik der Wirtschaft die Rahmenbedingungen vor, sondern umgekehrt. Die Informationsbranche bestellte eine Sonderregelung für Nicht-EU-Arbeitnehmer, der Kanzler liefert binnen Wochen. Und auch das zeigt die Geste der Männer: Die Zeiten, als Lobbyisten verschwiemelt bei Abgeordneten antichambrierten, sind abgestandene Bonner Vergangenheit. Ganz offen bringen Hewlett-Packard, IBM, Microsoft und Debis ihre Schreibtische ins Berliner Kanzleramt. Die widerspenstige BRD mutiert zur glatten D 21-AG.
Ab 1. August findet das neue Deutschland endlich auch seinen Anschluss an das digitale Zeitalter. Mit In-Kraft-Treten der Green Card wird die Arbeitskraft offiziell zum weltweiten Wettbewerb zugelassen. Nicht nur das Kapital wandert umher, auch der Produktionsfaktor Arbeitskraft darf sich mobil wie nie zeigen. Frei von bürokratischen Hindernissen fischen Arbeitgeber den Informationstechnologen heraus, der ihrem speziellen Anforderungsprofil entspricht.
Die Liberalisierung ist jedoch keine Einbahnstraße. Die weltweite Homogenität der IT-Produkte und IT-Infrastrukturen erleichtert es Computerfachleuten, in vernetzten transnationalen Teams zu arbeiten. Ausländische Spezialisten werden also nicht einfach nur in deutschen Firmen schuften. Auch Deutsche werden bald in Prag, Bangalore oder Moskau an den Computern sitzen.
In welche Richtung der „braindrain“ letztlich fließt, hängt davon ab, welches Niveau die Informationsverarbeitung in den jeweiligen Ländern erreicht und wie konkurrenzfähig ihre Arbeitnehmer bleiben. Protektionismus – deutsche Arbeitsplätze möglichst nur für Einheimische – schützt nicht. Die Deutschen würden den internationalen Anschluss erst recht verpassen.
Es mag zwar misslich erscheinen, dass die Initiative für die Green Card und damit für gesellschaftlichen Fortschritt aus der Wirtschaft kam, aber es war politisch die richtige Idee. ANNETTE ROGALLA
brennpunkt SEITE 4
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