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Krise im Gazastreifen„Ich habe geweint, als der Preis für Instantnudeln stieg“

Auch unser Autor leidet im Gazastreifen Hunger. Und die Art, wie die Gaza Humanitarian Foundation nun HIlfsgüter verteilt, empfindet er als Demütigung.

Viele Menschen in Gaza haben Hunger – auch die Kinder, mit denen der Autor das Geschichtenerzählen übt Foto: Mahmoud Issa/reuters

V or einigen Monaten arbeitete ich als Coach für literarisches Erzählen mit einer Gruppe von Kindern in der Stadt Chan Junis. Wir trafen uns zweimal pro Woche, um gemeinsam das Geschichtenerzählen zu lernen. Jede Sitzung hatte ein eigenes Thema, das wir gemeinsam besprachen, bevor sich die Kinder ans Schreiben ihrer eigenen Geschichten dazu machten. An einem Tag wollten wir über Essen schreiben. Doch die Kinder senkten ihre Blicke. Ihre Mienen sprachen Bände: „Du hast eine Wunde aufgerissen. Darüber können wir nicht sprechen.“ Die Kinder glaubten, ich könne mir alles kaufen, was ich wollte, weil ich einen Job hatte. Doch ich verstand ihr Gefühl sofort. Ich erzählte ihnen, dass wir alle dasselbe erleben: Auch meine Familie und ich hatten Hunger gelitten, tagelang nichts zu essen gehabt. Wir alle teilen denselben Schmerz – die israelische Besatzung tut uns das an.

Also beschlossen wir, über den Hunger zu schreiben. Ich gab jedem Kind einen Stift und ein Blatt Papier – aber keines von ihnen wusste, wo es beginnen sollte. Also schrieb ich meine eigenen Gedanken und Gefühle auf, las sie ihnen vor. Ich werde nie vergessen, wie ein Kind, Raghed, mich ansah, nachdem ich meine Geschichte vorgelesen hatte. Sie sagte: „Ich habe geweint, als der Preis für Instantnudeln auf eineinhalb Dollar gestiegen war.“

Die Geschichte, die ich ihnen vorgelesen hatte, spielt Jahre vor diesem aktuellen Krieg, in einem der vielen vorangegangenen Konflikte: Unser Kühlschrank enthielt damals nichts als eine einzige Kartoffel – für acht Personen in unserem Haus, das wir nicht verlassen konnten. Ich erinnere mich noch lebhaft an diesen Moment, er spielt sich immer wieder in meinem Kopf ab.

Heute ist der Hunger schlimmer denn je. Mehr als 80 Tagen gelangten keine Lebensmittel mehr nach Gaza. Die Welt sieht zu, wie hier palästinensische Kinder verhungern. Viele sind akut bedroht – und niemand unternimmt etwas.

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Ergebnis von Hunger, Gewalt, Demütigung

Am 27. April 2025 begann die US-amerikanische Organisation Gaza Humanitarian Foundation in Tal as-Sultan, einem Viertel von Rafah, mit der Verteilung von Hilfsgütern. So hatte es die israelische Besatzungsmacht in Zusammenarbeit mit den USA geplant. Die Menschen legen lange Wege zurück, um dieses „Lebensmittelcamp“ zu erreichen. Es ist von US-amerikanischen Sicherheitskräften umzingelt. Im Inneren werden die Menschen durch enge Korridore getrieben, Lebensmittelpakete werden nur nach Ausweis- und Sicherheitskontrollen ausgegeben.

Das gesamte System demütigt die Menschen. Es kontrolliert unsere Nahrungsaufnahme, reguliert, wie viele Kalorien wir zu uns nehmen dürfen. Und was wir bekommen, reicht nicht aus, um unsere erschöpften Körper zu stärken. Die Besatzungsmacht will uns kontrollieren und schwächen. Sie will uns in Lagern isolieren – und dann gewaltsam aus dem Gazastreifen vertreiben.

Ein Freund berichtete mir, dass Soldaten Menschen festgenommen hätten, die gekommen waren, um ihre Lebensmittelpakete abzuholen. Sie hätten sie verhört und versucht, Informationen über Dritte zu erhalten. Und was dann im Verteilungszentrum in Tal as-Sultan geschah, ist bemerkenswert: Die Menschen stürmten das Zentrum, nahmen einfach Hilfsgüter mit. Dieser Ausbruch von Aggression ist das Ergebnis von Hunger, Gewalt, Demütigung.

Doch auch an die Regierung in Gaza haben wir eine Botschaft: Sie müssen jetzt handeln, um die Pläne der israelischen Besatzungsmacht zu stoppen, noch mehr Land zu beschlagnahmen und uns zu vertreiben. Es gibt noch eine letzte Chance, die Menschen zu schützen – und es ist die Einzige: Verlasst den Gazastreifen. Überlasst ihn einer arabischen Instanz, die dafür sorgen kann, dass wir unsere Heimat nicht verlieren. Denn wenn wir Palästinenserinnen und Palästinenser vertrieben werden, ist auch das Land selbst verloren.

Mohammad Jabarin (34) kommt aus Gaza-Stadt und musste mehrmals während des ­Kriegs ­fliehen.

Verlasst den Gazastreifen. Überlasst ihn einer arabischen Instanz, die dafür sorgen kann, dass wir unsere Heimat nicht verlieren

Mohammad, Autor des Tagebuchs, an die Hamas

Internationale Jour­na­lis­t*in­nen können seit Beginn des Kriegs nicht in den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im „Gaza-Tagebuch“ holen wir Stimmen von vor Ort ein. Es erscheint meist auf den Auslandsseiten der taz.

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5 Kommentare

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  • "Wir alle teilen denselben Schmerz – die israelische Besatzung tut uns das an."



    Diese Einschätzung finde ich traurig,aber auch verständlich.Meiner Meinung nach ist es die gewählte gazanische Regierung und ihre Kämpfer/Unterstützer,die das den Menschen in Gaza antun.Es ist jedoch nachvollziehbar,dass die Menschen vor Ort das anders sehen,da sie jahrzehntelang von innen und außen darin bestärkt wurden und auch weiterhin werden,dass sie ausschließlich Opfer sind,Opfer von Rassismus,Opfer des Kolonialismus,des Imperialismus,der USA,der Juden,der Nachbarstaaten usw..

    Ich kann das insofern gut nachvollziehen,weil ich an mir selbst,und vielleicht geht es den meisten von uns so,in Konflikten auch manchmal Schwierigkeiten habe,meine eigenen Anteile zu sehen und die Verantwortung dafür zu übernehmen.Es sind eben doch nicht immer "die anderen schuld",aber das zu sehen ist nicht einfach.

    "Ein Freund berichtete mir,dass Soldaten Menschen festgenommen hätten,die gekommen waren,um ihre Lebensmittelpakete abzuholen ..."



    Ob das stimmt,weiß ich nicht,aber es ist naheliegend,wenn man verhindern will,dass die gaza. Regierung/Kämpfer Lebensmittel erhalten,strichprobenartig Befragungen zu machen.

  • Vor den Augen der Welt, vor den Augen der Machthaber, vor den Augen der deutschen Regierung, die stoisch ihr Programm fortsetzt. Staatsräson. Gegenseitige Besuche, wirkungslose Diplomatie, nichts als heiße Luft und wohlfeile Inszenierungen. Wie kalt muss man sein, um Menschen nicht nur beim Untergang zuzuschauen, sondern ihn auch noch tatkräftig zu befördern.

  • Der Wunsch nach einer arabischen Instanz dürfte wohl ins Leere laufen. Schließlich hat selbst Ägypten als arabischer Nachbarstaat mit einem mehrschichtigen Wall, der bis zu 30 Meter in die Tiefe reicht, und einem 500 Meter breiten Sicherheitsstreifen befestigt. Aktuell wird eine Pufferzone mit fünf Kilometern Breite gebaut, für die rund 75.000 Einwohner umgesiedelt werden.

    • @Heike 1975:

      Ich bin auch unsicher, ob eine arabische Instanz akzeptiert und respektiert werden würde, aber einen oder mehrere Versuche wäre es wert.

      Dass Ägypten die Grenze absichert verstehe ich gut. Sie müssen befürchten, dass sich die Gaza-Hamas-Huthi-Iran-Hizbollah-u.a.-Kriegspartei mit den Muslimbrüdern und ihren Unterstützern im eigenen Land zusammenfindet und das ist meines Wissens nach zumindest von der Regierung unerwünscht.

      Vielleicht, nur vielleicht, haben auch die Nachbarländer Israels den Eindruck, dass man mit Israel doch zuverlässiger verhandeln und sich produktiv austauschen kann, als mit den pro-palästinensischen und israelkritischen Machtbündnissen in der Region incl. Iran.

  • "Wir alle teilen denselben Schmerz – die israelische Besatzung tut uns das an."

    Interessante Perspektive.