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erinnerung an 1968 von WIGLAF DROSTE

Im Spätsommer 1968 war ich gerade sieben Jahre alt. Ich ging in die zweite Klasse der Bürgerschule I in Bad Oeynhausen und wollte meine Lehrerin heiraten, Fräulein Jording. Sie war genau mein Typ: intelligent und sexy. Fräulein Jording hatte aber schon einen Verlobten, von dem sie manchmal glücklich erzählte. Das tat sehr weh. Doch fand ich Trost in den Armen von Elke Göhmann, einer gleichaltrigen Nachbarstochter. Elke Göhmann gefiel mir auch sehr, obwohl sie mir mit sieben eigentlich viel zu jung war. Häufig knutschten wir ausgiebig im Heu. Als es beim Küssen einmal zu einer Art kindlich-unschuldigem Geschlechterverkehr kam, wurden wir von unseren beiden zwei Jahre älteren Brüdern überrascht, die nichts Besseres zu tun hatten, als im jeweiligen Elternhaus detailliert zu petzen. So wurden Elke Göhmann und ich roh getrennt – und schon in jungen Jahren wurde ich von den Wonnen genau der herrlichen weiblichen und überhaupt ganzheitlichen Sexualität hinfortgerissen, die doch das Hauptversprechen jener Jahre war: Unsere Nachbarin Frau Richartz, eine aufregende Blonde, hatte rot lackierte Fußnägel, die meine Phantasie noch jahrelang auf Trab hielten.

Auch mein erstes Großkulturerlebnis fällt in das Jahr 1968. Meine Mutter nahm meinen älteren Bruder und mich mit ins Lichtspielhaus. In Kino 2 lief Walt Disney’s „Dschungelbuch“, in Kino 1 Sergio Corbuccis „Django – der mit dem Sarg ist da“. „Django“ war ein Italo-Western ab 18 und mein Film, „Dschungelbuch“ war Zeichentrick und für Babys, pah! Ich machte ein wenig Theater, meine Mutter sah sich das eine Weile an und stellte dann klar, was Sache war: „Dschungelbuch“, basta. Vor Sirkan dem Tiger und der Schlange Kaa hatte ich dann eine Heidenangst und war sehr froh, dass meine Mutter mit im Kino saß, zum Anklammern. „Django“ sah ich etwa 15 Jahre später, eine bescheuerte Maschinengewehrballerei mit Franco Nero, während Corbuccis zwei Jahre nach „Django“ gedrehter 68er Schneewestern „Il Grande Silenzio“ („Leichen pflastern seinen Weg“) mit dem eisgemeinen Klaus Kinski und dem stummschönen Jean-Louis Trintignant mich heftig mitnahm.

Was ist geblieben von den 68ern? Ein bisschen Restlibertinage und viel die Eigenschulter klopfende Legenderei. Fräulein Jording heiratete ihren Verlobten, meine Eltern zogen von Bad Oeynhausen nach Bielefeld-Altenhagen, ich musste mit. Meine schönlockige Mitschülerin Gisela, die für mich schwärmte wie ich für sie, deren Nachnamen ich aber nicht mehr weiß, gab aus Kummer über den Abschied ihrem neuen Goldhamster meinen Vornamen. Mein älterer Bruder, der eine Zeit lang noch Elke Göhmanns Bruder besuchte, teilte mir nach einem seiner Ausflüge nach Bad Oeynhausen hämisch mit, Giselas Hamster namens Wiglaf sei verreckt und begraben. Aber das war gewissermaßen schon Post-Achtundsechzig, auch wenn das 1970 keiner so gesagt hätte.

Politisch lässt sich die Geschichte der 68er in zwei Zeilen zusammenfassen: Es war zu viel Mode dabei Achtundsechzich – und das rächt sich.

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