die wahrheit: Hamsterzellen in Kreuzberg
Jüngst lud mich Frau C. zum Essen ein. Nutzlos blieb der reiche Schatz meiner Ausreden, denn sie verstand es, diesen durch bösartige Argumente zurückzuweisen...
Jüngst lud mich Frau C. zum Essen ein. Nutzlos blieb der reiche Schatz meiner Ausreden, denn sie verstand es, diesen durch bösartige Argumente zurückzuweisen. Reichlich unangenehm, denn Frau C. wohnt in Berlin. Die Zugfahrt von Freiburg dorthin war entsetzlich.
Ein Taxifahrer aus dem Bosnischen oder Afghanischen lieferte mich nach einer langen Odyssee am Endpunkt ab. Ob der vielen Straßensperrungen war er höchst verwirrt, zischte zuweilen einen derben kroatischen oder afghanischen Fluch und strich sich über die Bartstoppeln. Ein zerfallenes Haus erwies sich schließlich als mein Ziel. So also sah Kreuzberg aus.
Frau C. begrüßte mich euphorisch: "Seien Sie willkommen, Herr Dr. G., wie schön, dass Sie da sind!" Herr Doktor? Immerhin, ich bin ihr Lektor, doch so hatte sie mich noch nie genannt. Im Wohnzimmer bemerkte ich den Grund: eine Einwegspritze und eine Ampulle unbekannten Inhalts. "Frau C.", fuhr ich zurück, "das können Sie nicht von mir verlangen! Nicht mit mir!" - "O, lieber Herr Doktor", hauchte sie, "Sie sind der Einzige, den ich darum bitten kann." Und schon fasste sie meine erkaltete Hand und führte sie zur in Cellophan gehüllten Spritze. "Auspacken!", befahl sie trocken. Und während ich noch zu erklären versuchte, dass sie das mit dem Doktor falsch verstehe, schließlich sei ich Philologe, knurrte sie nur: "Ich brauche Hamsterzellen!" - "Zumal ein Philologe mit zitternden Händen", erwiderte ich, sie aber hatte bereits ein Stück ihrer Haut entblößt und fauchte: "Wo eine Falte ist, da ist auch ein Weg. Die Venusmuscheln warten schon."
Sicher, man hatte mich gewarnt. Die Großstadt, der Moloch. Da ist der Weg zur Droge nicht mehr weit. Und schon als Kind hatte ich in unzähligen Folgen von "Der Kommissar" von den entsetzlichen Wirkungen des Rauschgifts hören dürfen. Andererseits: Venusmuscheln! Davon wusste man im München der Siebzigerjahre wenig. "Chef, sie hat Drogen genommen." - "Ja, Walter, schon wieder Hamsterzellen! Das kriegen wir einfach nicht in den Griff!" - Kein Wort von Venusmuscheln.
"Drücken!", insistierte Frau C. Subkutan, wie ich es hasse. Warum nicht intravenös? Der Inhalt der Hamsterzellenampulle verschwand langsam in der Hautfalte. Und während ich mir noch den Schweiß von der Stirn tupfte, wischte Frau C. mit dem Wattebausch über die Einstichstelle und fiepte zufrieden: "Hmm, chinesische! Doch nun zu Tisch, Herr G. Es ist serviert."
"Warum nur?", entfuhr es mir, "warum werfen Sie Ihr junges Leben den gnadenlosen Vasallen eines internationalen Hamsterzellenkartells vor die Füße?" Mit glasigen Augen blickte mich Frau C. an. "Granulozyten", stöhnte sie, "ich brauche Granulozyten, um sie der Welt zu schenken." Und sie murmelte noch etwas von einer Blutspende am nächsten Tag, für die sie die Anzahl ihrer weißen Blutkörperchen steigern müsse. Das glaube, wer will!
Der Abend zog sich lange hin. Ein kaltes Grinsen durchfurchte mein Gesicht. Niemals wäre Kommissar Keller auf den Trick mit der Blutspende hereingefallen. "Subkutan!", fluchte ich auf Kroatisch oder Afghanisch, während Frau C. flink an den Venusmuscheln nagte und deren Fleisch in ihre Backen stopfte.
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