die wahrheit: Eine Welt voller Sonnenschein
Die Folgen des Klimawandels im Jahr 2050: Wetter, wohin man auch schaut.
Sommer, Sonne und nacktes Meer - für den Winter ist es perfekt! Lange Strandspaziergänge in der blauen Luft, ab und zu ein Bad in den heißen Wellen; an einem Tag ein Ausflug zu den fetten Palmenwäldern im Landesinneren, an einem anderen ein Abstecher zu den prall gefüllten Tierparks, wo Löwen, Giraffen und frisch gezüchtete Saurier durchs warme Gras turnen - und das Wichtigste: Das Wetter ist immer voll dabei. Der Prospekt hat recht: Grönland ist der Renner in der Urlaubssaison 2050!
Selbstverständlich muss man manchmal seine Alarmglocken aufspannen, denn wenn die Strandwacht in die Sirene stößt, ist Badeverbot. Erst heute Vormittag wurde einem leichtsinnigen Schwimmer von einem Hai ein Knie abgebissen, der Hotelarzt musste ihm fürs Erste ein Winkeleisen einsetzen. Aber Ferien in Grönland sind mal was anderes als das ewige Kameltrekking in der Mark Brandenburg oder das bekannte Korallentauchen im ehemaligen New York. Zu schweigen vom Badeurlaub im Weddell-Meer bei der Antarktischen Halbinsel, das wegen eines versenkten Atom-U-Boots gut gegen Rheuma und andere Altersmucken sein soll; doch wer länger als eine Viertelstunde am Stück badet, muss damit rechnen, dass die Zehen abblättern und sich der Schwanz ringelt.
Der Weltball hat sich in den letzten heißen Jahrzehnten heftig gedreht, aber Mensch und Natur haben sich der veränderten Luft angepasst. Pinguine und Eisbären werden auf der Antarktis in großen Kühlhäusern gehalten, in den Alpen hat man überdachte Skiparadiese errichtet, die im Winter mit buntem Kunstschnee in den Farben der Saison locken. Unter der blanken Sonne aber lebt man wie im Schlaraffenland. Die Kartoffeln werden bereits gekocht aus der Erde gezogen, die fertigen Schnitzel gut durchgebraten am lebenden Schwein geerntet. Allerdings sind die Wasserleitungen häufig ausgetrocknet, und es gibt bloß Wasserpulver zu kaufen.
Glücklicherweise hat niemand vor 50 Jahren die Unkenschreie ernst genommen, dass die Welt untergehe, wenn die Erde vor Hitze platzen wird. Die Mühlen des Klimas mahlen langsam, sagten sich die einfach gebauten Bürger mit viel Hoffnung in der Stimme, auch wenn ihnen von Jahr zu Jahr wärmer auf der Pelle wurde. Außerdem setzten sie darauf, dass die Versicherungen die Schäden für ertrunkene Städte, weggerutschte Landschaften und von Malariamücken niedergerungene Polarvölker mit ihrem vollen Beutel schon beheben werden. Dass die Treibhausprognosen mehr sind als bloßer Kaffeesatz, wollte auch in der Politik im Grunde niemand wissen; Klimaforscher, die den heißen Peter an die Wand malten und mahnten, man müsse der aus allen Nähten dampfenden Wirtschaft die Schornsteine zubinden, wurden als weltfremd gestrickte Spaßbremsen einsortiert, die den Wohlstand löchrig machen wollen und dem hundsgewöhnlichen Otto Naturverbraucher sein überlebensgroßes Auto nicht gönnen.
Gott sei Dank wurden alle Versuche eingeschläfert, der globalen Erhitzung in den Arm zu fallen, und wir können uns heute einer rundum warmen Erdkugel erfreuen. Auf der es viele frischgebackene Arbeitsplätze gibt! Zum Beispiel hier in Grönland, wo die Eskimos rechtzeitig den neuen Trend gerochen haben und als Hoteliers, Großwildjäger und Maniokbauern nicht mehr wissen, wie sie ihre goldenen Nasen zählen sollen; oder in Brasilien, wo die Nachfahren der Urwaldindianer als Touristenführer durch die Sandhölle des Amazonas sich ihr Überleben verdienen.
Im Übrigen seien jene, die vor lauter Kritik ihren Mund bis heute nicht zukriegen, daran erinnert, dass es nun mal keine Ersatzerde gab, also musste man das Klima-Experiment doch am lebenden Erdball durchführen. Es ist deshalb bitter, wenn man sich wegen der jahrzehntelangen Vergangenheit, in der angeblich niemand den Globus in Schutz genommen habe, schmutzige Vorwürfe anhören muss. In Wahrheit hatte diese Zeit viele schöne Seiten! Pittoresk war es, wenn die kalbende Antarktis die Fernsehkameras zum Surren brachte, bis ihnen die Linse überging. Aufregend war es, als die ersten Krokodile in der Elbe auftauchten und mit den Badenden spielen wollten. Kurios waren die dobermanngroßen Kakerlaken, die aus den Tropen einwanderten. Als die ersten Kinder von ihnen gefressen wurden, war aber Schluss mit lustig. Seither füttert man sie mit Rentnern.
Manche Leute schlagen die Augen über dem Kopf zusammen, wenn sie die Welt von heute betrachten, aber die sind eine kleine radikale Minderheit. Allerdings eine namens Weltregierung, denn die plant jetzt mit vollem Ernst, die Zeit rückwärts laufen zu lassen, damit der Erdball in fünfzig Jahren, im Jahr 2100, wieder aussieht wie zu Anfang des Jahrtausends und so kalt ist wie eine Hundeschnauze. Am Ende setzen sich die Pole wieder die Eismütze auf, das Meer geht zurück ins Körbchen, und wir müssen im Winter sogar Kleidung tragen. Welch ein dicker Unfug! Was das wieder kosten wird!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?