die wahrheit: Mehr oder weniger Geld für alle
Tarifverhandlungen im Zeitalter der Finanzkrise: Wahre Gewinner wollen Nullrunden.
Wie hatten sie den Triumph jubelnd genossen und begossen, die Herren Arbeitgeberpräsidenten Hundt und Kannegiesser - damals im Herbst des Jahres 2008! Die Gewerkschaften waren im Sommer 2008 angetreten und hatten acht Prozent mehr gefordert. Dann kam erst die Finanz- und gleich hinterher die Autokrise. Und mit jeder neuen Krise, die folgte, nahm die Gewerkschaft ein Prozent der Forderung zurück und gab sich zuletzt entnervt geschlagen. Am Ende holten die Gewerkschaften bei den Tarifverhandlungen null Prozent Lohnerhöhung bei einer Laufzeit von 20 Jahren heraus. Und genau das feierten die Arbeitgeber wie seinerzeit Kaiser Barbarossa die Erfindung des Rasierzeugs.
Umso erstaunlicher ist der Eindruck, den die Herren Hundt und Kannegiesser heute, knapp vier Jahre später, auf uns machen. Im Jahr 2012 ist der eine froh über seinen Job als Zeugwart beim VfB Stuttgart. Jetzt darf Dieter Hundt bei den Heimspielen des VfB die Linien des Platzes abkreiden. Den Restkalk nimmt er dann abends mit nach Hause. So bekommt seine graue Sozialwohnung doch noch einen hübschen neuen Anstrich.
Der andere macht seinem Namen alle Ehre. Martin Kannegiesser arbeitet als ebensolcher in der Milchindustrie. Mal ist zu viel Milch im Euter, mal zu wenig in der Kanne. Nur durch geschicktes Umfüllen kann da der Kannegiesser noch was herausholen. Doch Geld macht keiner mit Milch. Auch Kannegiesser ist ein armes Schwein.
Die Verarmung der beiden Spitzenarbeitgeber setzte bald nach den Tarifverhandlungen ein. Bereits 2009 schoss das Bruttosozialprodukt um fünfzig Prozent ins Bodenlose, woraufhin die Europäische Zentralbank genauso viele Banknoten aus dem Umlauf nahm. Alles wurde billiger. Bei Plus und Aldi kamen die ersten Kunden mit mehr Geld aus dem Laden, als sie vorher mit hineingenommen hatten. Denn die Discounter konnten ihre Ladenmieten nicht mehr bezahlen und brauchten das Gerümpel, das sie als Waren bezeichneten, auch nicht mehr. So schnell wie möglich wollten sie alles loswerden - und sei es für eine schöne Summe an jene Kunden, die das Zeugs freiwillig mitnahmen.
Mit dem plötzlichen Reichtum der Verbraucher begann auch der Aufstieg der Lohnabhängigen. Nun waren es die Gewerkschaftsbosse, die feierten. Nur knapp waren sie damals der Lynchjustiz der Mitglieder entkommen, aber mittlerweile waren sie zu Helden der Nation geworden. Mit jedem Tag der galoppierenden Geldaufwertung verwandelten sich die Null-Prozent-Tarifverträge in pures Gold.
Wie Pech hingegen klebten die Verträge an den Fingern der Herren Hundt und Kannegiesser, die nun an den Türen der Gewerkschaftsbaracken kratzten, um von den Verträgen wieder loszukommen. Eine Tariferhöhung nach der anderen forderten sie - erst 50, dann 75 Prozent, am Ende gar die volle Dröhnung! "Nichts da!", widerstanden ihnen die Gewerkschaftsbosse. "Gerade jetzt gilt es, die Kaufkraft zu stabilisieren." Und wo sie recht haben, haben sie recht. Alles, was sie den Arbeitgebern anbieten konnten, war eine kostenlose Mitgliedschaft in der IG Metall, damit auch sie in den Nutzen der Lohnentwicklung kommen könnten.
Dazu sind sie aber bis auf den heutigen Tag nicht bereit. Da bleiben sie lieber unbezahlte Zeugwarte und Milchquotenmänner. Ihnen bleibt allenfalls die Hoffnung, dass das Sozialwerk des BDI demnächst als neues Mitglied beim Paritätischen Wohlfahrtsverband aufgenommen wird. Dann kann sogar ein Fünfzig-Cent-Job aus ihren Tätigkeiten werden. Bei der Deflation im Lande wäre das nicht einmal ein schlechter Anfang.
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