die wahrheit: Sanfter Terrorismus
Neue Herausforderungen für Individualreisende in diesem Urlaubsjahr.
Berlin, Internationale Tourismusbörse, Halle 4. Die Schar der Neugierigen drängelt sich an Angeboten für Regenwald-Hopping oder Südpol-Safaris vorbei. Mittendrin Rasmul Abbas Neq-Urmani, der uns mit typisch orientalischer Gastfreundlichkeit einlädt, auf den Sitzkissen Platz zu nehmen. Es gibt Kekse und Tee, die Zimmerpalme rauscht im Ventilator, eine Oase im üblichen Messetrubel. Auf den ersten Blick irritieren nur die beiden jungen Männer mit ihren Kampfanzügen und Maschinenpistolen, die so dreinschauen, als würden sie uns am liebsten gar nicht mehr weglassen.
"Alles echt, wenn wir wollten, könnten wir in dieser Halle ein Blutbad anrichten." Aber Rasmul und seine Mitstreiter aus dem fernen Tora Bora wollen nicht mehr. "Lassen Sie sich entführen!", spannt sich ein großes Transparent in freundlichen Khaki- und Wüstenfarben über den groben Schotter. "Sanfter Terrorismus wird das nächste große Ding, alle Anzeichen deuten darauf hin." Rasmul rührt im Tee. "Und wir als moderate Taliban sind dafür gut aufgestellt."
Früher, da lebten sie von der Hand in der Mund. "Hier mal ein vorwitziger Archäologe, da mal eine Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation. Die Umsätze waren", er lächelt mit einem Hauch von asiatischer Weisheit, "moderat. Das Problem war, dass wir keine Kundenbindung erreichen konnten. Die Leute kamen einmal und nie wieder. Was wir hier aufziehen, hat eine Perspektive. Wenn es sein muss, entführen wir die ganze Familie. Die Braut zur Hochzeit, den Sohn zum Führerschein, die Schwiegereltern zu Weihnachten."
Die Angebotspalette reicht vom 48-stündigen Happy-Adrenalin-Wochenende mit Flugzeugentführung, Umdirigieren in einen Schurkenstaat und zähen Verhandlungen mit überraschendem Ausgang bis hin zur sechsmonatigen Odyssee durch den südostasiatischen Dschungel. Ein Angebot, das einige Krankenversicherer auch als Paartherapie anerkennen.
"Trainingslager für Bundesligisten, klar für die Technik und die Ausdauer, aber für das Teambuilding geht man doch heute nicht mehr in den Klettergarten." Ein Bundesligist aus dem süddeutschen Raum hat bereits angefragt. "Die hatten großes Interesse daran, dass wir bei der Gelegenheit ein paar buddhistische Klöster niederbrennen. Klar, auch das machen wir. ,Geht nicht' gibts nicht bei uns. Wichtig ist, dass du in den besten Wochen des Jahres den Kopf wirklich freibekommst." Was als spinnerte Idee in einer afghanischen Höhle begann, funktioniert heute als weltweites Netzwerk von so genannten YRLies, Young Rural Professionals.
Dr. Tamara Haderbühl-Eimeskirchen vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat das Aussteigerprogramm gegen zum Teil große Vorbehalte im eigenen Haus durchgesetzt. Vor vier Jahren war sie selbst Opfer einer Entführung einer Südtiroler Separatistenorganisation. Heute sitzt sie mit uns auf dem runden Polster beim Tee und erklärt: "Eigentlich ist es ja ein Umsteigerprogramm. Wir wollen weg von diesem Drehtüreffekt: heute Taliban, morgen Mohnbauer, übermorgen vielleicht Piusbruder." Als sie im Sommer 2003 die europäische Bergwelt ganz unverhofft und aus einer neuen Perspektive erleben durfte, reifte in ihr der Gedanke, einen "new approach" bei der Terrorismusbekämpfung zu initiieren. "Wir müssen diese jungen Männer dort abholen, wo sie stehen. Schwer bewaffnet, ohne echte Perspektive, mit einem Spezialwissen über die Flora und Fauna ihres Heimatlandes, das so vielen Zivilisationsmüden im Westen weiterhelfen kann." Gedankenschnell stippt sie einen der freilaufenden Skorpione zur Seite, ehe er an ihr hochkrabbelt. Rasmul erwarb seine hervorragenden Deutschkenntnisse an der Fernuniversität Hagen. "Aber Sprachen sind nicht so wichtig. Eine Gewehrmündung und ,Get up or die' versteht eigentlich jeder. Wichtig ist, was der Kunde will, was der Kunde braucht. Wir empfehlen den Leuten, die so eine Reise buchen, immer, es als Überraschung zu gestalten. Die Entführten haben einfach mehr davon. Wir brauchen natürlich alle wichtigen gesundheitlichen Daten. Herzschrittmacher, Allergien, chronische Krankheiten." Er stellt den Tee auf den runden, silbernen Tisch. "Hätten Sie gewusst, dass es weltweit über vierhundert Termitenarten gibt, die auch zur besonderen Ernährung bei Diabetes mellitus im Rahmen eines Diätplans geeignet sind?"
Zum Abschied reicht Rasmul uns die Hände und seine beiden Kollegen entsichern ihre Waffen, ohne eine Miene zu verziehen. "Als Incentive, als Belohnung für überdurchschnittliche Leistungen, bieten sich unsere Dienste übrigens auch an", sagt er mit dem typisch orientalischen Geschäftssinn. "Neulich ist eine Anwaltskanzlei im Namen von mehreren zehntausend Kleinsparern an uns herangetreten, die mal hören wollten, was es kostet, ein paar Banker entführen zu lassen. Unbefristet. Ich denke, wir können da weiterhelfen. Wir arbeiten vollkommen seriös. Kein Lösegeld, keine Freilassung." ROB ALEF
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