die wahrheit: Im Radebrechwerk
Fallende Werte an der Grammatikbörse: Krise in der Satzbaubranche.
Die Hiobsbotschafen überschlagen sich, schießen Kapriolen und purzeln Seite an Seite mit der Gesamtwirtschaft koppheister in nie gekannte Abgründe. Angesichts dieser Entwicklung, die die Lawinen in Abwärtsspiralen und noch sagenhaftere Metaphern entstehen lässt, ist weitgehend unbemerkt geblieben, dass auch die Satzbaubranche eine Krise sondergleichen durchlebt. Allerorten wird gestrichen, Nebensätze, Adjektive, inzwischen sogar Verben. "Die Bayern damit skeptischer als die große Schwester CDU", formulierte man schon 2006 in der "Tagesschau" und zeigte sich damit noch vor Beginn der eigentlichen Sprachrezession deutlich sparsamer, als der Duden erlaubt. Ein Weg, der konsequent weiter beschritten wurde, wie ein Beispiel aus dem Folgejahr dokumentiert: "Die Kanzlerin lotst Möglichkeiten für den Frieden aus."
Jedoch erweisen sich diese Satzkonstruktionen als regelrecht barock verglichen mit dem, was heutigentags so zusammengestammelt wird. Zur Erklärungs- gesellt sich die Begriffsnot, nicht nur unter Fernsehtextern, sondern in verstärktem Maße auch im Bereich der holzgestützten Publizistik. Die Kundschaft ist verunsichert, zeigt sich doch der Markt mit überteuerten Papieren überschwemmt, deren außen aufgedruckter Nennwert vom Warenwert nicht mehr gedeckt wird. Für Käufer ein Verlustgeschäft.
Einige Spitzen in den Notierungen des Deutschen Orthografie Index (DOX) können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die dudennotierten Werte im Sinkflug begriffen sind. Viele Anleger sehen mittlerweile konsequent davon ab, in kränkelnde Grammatikanleihen zu investieren. Deutlich erholt haben sich hingegen die zeitweilig als kritisch verrufenen New-Economy-Auftritte im Online-Bereich, wo ein Ansteigen der Nachfrage verzeichnet werden konnte. Die hier vertretenen Unternehmen beklagen allerdings einen niedrigen Cashflow. Rationalisierung ist das Gebot der Stunde, ein zunehmender Qualitätsverfall die Folge. Discounter beherrschen den Markt.
"Rechts-oben im Bild tickte solange der scheinbar endlose Countdown für die ,Mutter aller Spiele' beziehungsweise den ,Fußball-Highlight des Jahres' herunter", quillt es aus dem auf Leerverkäufe spezialisierten Radebrechwerk "Welt online", und selbst bei der konservativen Marke "Faz.net" scheint man jegliche Orientierung verloren zu haben: "Mit Hähme wird im Online-Forum zum neuen ZDF-Nachrichtenstudio nicht gespart." Es muss allerdings gesagt werden, dass Hohn und Häme traditionell nicht zur Kernkompetenz dieses Unternehmens zählen.
Fazit: Auf Parkett und Paneele herrschen Orientierungslosigkeit und Verunsicherung. Der neue Duden könnte es richten, kostet aber. Und alte Börsianer wissen: Wer einmal gekostet hat, will gern mehr. Damit einen schönen Abend. HARALD KELLER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!