die wahrheit: Krasses Kasteien
Geschichten zum Winden. Heute: Wellness für Masochisten.
Dringender Warnhinweis: Personen mit einer niedrigen Ekeltoleranz, einem schwachen Magen oder etwa Halswirbelschäden sollten wegen der hohen Windungsgefahr von der Lektüre dieses Wahrheit-Textes absehen.
Die Darmhaspel ist in der Frankfurter Filiale von "HappyPain" der Hit der Saison. Bis zu drei Wochen müssen die Kunden warten, bevor sie in den Genuss des Apparats kommen können. Broker Leif B., 36, verrät, was die Darmhaspel so populär werden ließ: "Erst kitzelt die Haspel nur - man kann gar nicht aufhören zu lachen. Aber dann, wenn der Darm langsam aufgewickelt und hinten aus dem Körper gezogen wird, dann vergeht einem das Lachen. Für immer. Ein großartiger Moment! Ich musste leider aufgeben, als mein Magen mit aufgedreht wurde." Der schlaksige Finanzjongleur seufzt: "Sobald die Narben nicht mehr nässen, versuche ich es noch mal."
Schmerz ist trendy, Qual ein Hit. Jedenfalls unter den oberen Zehntausend: Madeleine Schickedanz nagt an Grünzeug aus eigenem Anbau, Josef Ackermann verzichtet auf Bonuszahlungen. Die Macher tun Buße - für die Krise der Finanzen, der Wirtschaft, des Neoliberalismus. Doch krasser als bei "HappyPain" kasteien sich Entscheider nirgendwo. Das liegt am vorbildlichen Preis-Leistungs-Verhältnis und am Einfallsreichtum der "Quälness"-Trainer, etwa bei der "Pediküre": Mittels straffer Tapes wachsen die Fußnägel nach innen, bis Blut und Eiter fließen.
"Rezession?" Hartmut Lind kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. "So glatt wie heute lief es noch nie!" Der Geschäftsführer von "HappyPain" hat gut lachen: Seit Gründung der Franchise-Kette vor fünf Jahren sind die Umsätze stetig gestiegen - und mit der Implosion der Weltwirtschaft im Herbst 2008 schier explodiert. Lind überrascht das nicht. Der gelernte Investmentbanker kennt seine Klienten aus dem Effeff. Schon als Twen - er leitete damals die Risikopapierabteilung eines Hamburger Geldinstituts - relaxte er von der Hatz nach Millionengewinnen am liebsten bei einer Domina in der Herbertstraße. "Lady Zora - da hab ich mir die Sporen verdient. Immer zwischen die Rippen …"
Bald entdeckte Lind, dass er seine Vorstellung von einem perfekten Chill-out mit zahlreichen Kollegen teilte. Aber auch, dass es mit Kundenkomfort in herkömmlichen "Studios" nicht weit her ist. Dauernd sei er am Andreaskreuz in Blut und Erbrochenem seiner Vorgänger ausgerutscht. Manchmal habe er sein eigenes Gekreisch nicht verstehen können, weil nebenan eine Sadomaso-Orgie mit Formel-1-Verantwortlichen stattfand. "Eines Abends", erzählt der Erfolgsmanager, "fragte ich Lady Zora, ob sie sich vorstellen könne, in einem professionell geleiteten Haus zu arbeiten. Beste City-Lage, mit Empfang, Internetauftritt und so weiter. Sie knallte mir die Knotenpeitsche voll auf die Fresse. Zwei Wochen lang konnte ich mich nur flüssig ernähren. Solche Wonnen hatte sie mir noch nie bereitet! Da wusste ich, dass die Idee ihr gefiel."
Dennoch vergingen Jahre, bevor Hartmut Lind sein Win-win-Konzept realisierte. "Immer wieder kam etwas dazwischen - Mauerfall, Internetblase, Nine/ Eleven. Aber dann bin ich endlich meiner Vision gefolgt. Mit schlagendem Erfolg!", kalauert der smarte Mittvierziger.
Auch die große Politik hat den Reiz der Schmerzen entdeckt. Drei Studios betreibt "HappyPain" allein in Berlin, ein viertes soll im September folgen. Der Renner in der Hauptstadt: "Free your mind like Pharao". Dabei wird durch die Nase ein Metallhaken in den Schädel gebohrt, um das Gehirn zu entfernen wie Korkentrümmer aus einer Rotweinflasche. Hartmut Lind: "Was mal für Tutenchamun gut war, kann für einen Aufsichtsrat heute nicht schlecht sein. Da stecken 5.000 Jahre Mumifizierungspraxis drin!" Besonders beliebt sei die Haken-Nase-Enthirnung unter Politikern der FDP: "Bei den Liberalen ist Leere im Kopf Voraussetzung", meint Lind. "Sogar Ortsvereinsvorsitzende lassen sich inzwischen Termine geben." Privatversicherte können die "Therapie" übrigens mit der Kasse abrechnen.
Weil Stillstand in Zeiten der Globalisierung der Tod ist, entwickelt "HappyPain" laufend neue Geschäftsideen. Aktuell bereitet man eine Anwendung vor, die im Oktober auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt werden soll. Zielgruppe: Verleger und Feuilletonchefs. "Wir haben uns von Kafkas Erzählung ,In der Strafkolonie' inspirieren lassen", berichtet Lind. "Der Kunde wird fixiert, und dann tätowiert ihm ein Automat Nietzsche-Aphorismen ins Fleisch. Rundherum, bei Aufpreis auch in die Augäpfel." Linds Lieblingssentenz: "In der vergoldeten Schale des Mitleids steckt mitunter der Dolch des Neids." Ein Dolch mit Widerhaken, versteht sich.
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