die wahrheit: Krieg der Köstlichkeiten

Integration: Erschreckende Gewalt gegenüber Andersschmeckenden.

Noch herrschen Ruhe und Ordnung in den Regalen, doch das wird sich leider schon bald ändern. Bild: ap

"Kartoooffel, Kartoooffel!", schallt es ohrenbetäubend durch den Raum. "Kümmel, Knoblauch, Kardamom!", seiert es zurück. Es gibt Tumult, alle schreien durcheinander: "Weichkäse!" - "Spaghetti!" - "Krautkopf!"- "Baguette!" - "Sojasprosse!" - "Bratwurst!". Soeben haben die Türen des Extrasuperkaufmarkts in Köln-Kalk geschlossen und schon bricht der allabendliche Gewürz- und Gemüsekrieg aus.

Unbeobachtet von der Öffentlichkeit offenbart sich hier, wie es wirklich um die Gesellschaft in Deutschland steht: miserabel. In den Regalen und Auslagen dieses Landes hat sich ein ein regelrechter Hass auf Andersschmeckende ausgebreitet, ein Klima der Angst und Feindseligkeit herrscht in den deutschen Supermärkten. Knolle kämpft gegen Rübe, Südfrucht gegen Kohlkopf, Gewürz gegen Gewürz - tiefsitzende Vorurteile und offene Gewalt prägen auf allen Seiten den Alltag.

"Dieser Multikulti-Gemüseeintopf ist gescheitert!", brüllt die Runkelrübe und will sich Gehör verschaffen. Da springt der Chinakohl auf und schlägt ihr mit seinen welken Außenblättern mitten in die runzlige Visage "Der Supermarkt ist ein Einwanderungsmarkt!", schreit er. Das gibt Applaus, sogar von den Feigen, die sonst immer still in der Ecke liegen und vor sich hin trocknen. Nur die Kontrollwaage piepst alarmierend und versucht vergeblich, der Lage Herr zu werden.

Was war geschehen? Wie konnte es unbemerkt nur so weit kommen? Schließlich dachte man, es gäbe gar kein Integrationsproblem in deutschen Supermärkten. Alles war bis ins Detail geplant und organisiert worden: Gemüse ganz vorne, Zigaretten ganz am Schluss, dazwischen Fleisch und Kosmetik. Doch der aufgeräumte Schein trügt, in den Regalen brodelt es.

Die ausländischen Importprodukte haben es satt, immer ganz unten einsortiert zu werden und niemals auf Augenhöhe zu stehen, wo die geneigten Käufer viel öfter zugreifen. Auch die tägliche Diskriminierung sind sie leid, nie wissen die Verkäufer, wie die Pomelo und die Nashi aussehen, geschweige denn, was sie kosten. "Kaufen Sie doch deutsche Äpfel", sagen die Kassierer dann und schieben die Exotfrüchte einfach in den Spendenkorb für die Tafel ab.

"Du Schwein, blöde Sau!", schreit es plötzlich aus der Fleischtheke, wo eine rabiate Schweinshälfte gerade ein paar Lammkoteletts verdrischt. "Ich zieh dir die Hammelbeine lang!", droht diese. Um sie herum liegt der wütende Mob und applaudiert. Ein paar polnische Flugenten klappern begeistert mit den steifen Flügeln. Doch die Weinbergschnecken versuchen nur genervt die gefrorenen Stielaugen zu verdrehen - kein Grund, sich bei der Schweinebacke einzuschleimen.

"Schluss mit der Kartoffelfeindlichkeit!", quäkt es gegen Mitternacht aus den Lautsprechern. Zwei Kilo Frühkartoffeln haben das Mikrofon für die Durchsagen gekapert und rufen ständig im Chor: "Weiche Schale, harter Kern - wenn man uns angreift, werden wir uns wehrn!" Derweil beginnt die große Mobilmachung im Gewürzregal, wo der Ausländeranteil besonders hoch ist. Schon öfter ist es in diesen sozialen Brennpunkt zu heftigen Krawallen gekommen. Die Chiliflocken gelten als wahre Brandstifter unter den Gewürzen, auch der Sternanis und der Kreuzkümmel kämpfen gern an vorderster Front. Nur die von Haus aus gemütliche Muskatnuss sieht keinen Grund, sich in der Schlacht unnötig aufzureiben.

Doch der Krieg tobt weiter und ruft auch intrigante Profiteure auf den Plan, so wie den fiesen Tabasco, der insgeheim schon eine Söldnerarmee aus Würzsoßen aller möglichen Geschmacksrichtungen aufgebaut hat - sogar Ketchup und Mayo, die Angsthasen unter den pampigen Geschmacksverstärkern, hat er mit einem perfiden Doppelspiel auf seine Seite gezogen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis er seine würzige Armee wie Napalm über den schwelenden Konflikt gießt. Aber noch nicht in dieser Nacht - der Morgen graut und die Putzkolonne naht.

Was sie vorfinden wird, gleicht einem Schlachtfeld. Ein Trümmerhaufen, der einmal eine Gesellschaft war. Schnell durchwischen und die Opfer beseitigen, bevor die neuen Zuwanderer eintreffen. Man will ja keinen falschen Eindruck erwecken, im Supermarkt muss es ordentlich und sauber sein.

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kari

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