die wahrheit: Des toten Manns Kiste

Deutschlands vergessene Berufe. Heute: Der Pirat.

Theodor Heuss verlieh damals jedem Absolventen eine schwarze Augenklappe und einen Stoff-Papagei. Bild: imago

Während im Golf von Aden moderne somalische Piraten munter Schiff für Schiff kapern und die Weltgemeinschaft dabei leicht überfordert zuschaut, wird oft vergessen, dass es auch in Deutschland bis 1952 den Ausbildungsberuf "Pirat" gab. Damals unter der bürokratischen Bezeichnung "Ausbildung zum aggressiven Handlungsreisenden mit besitzergreifender Tendenz".

Peter Huber nahm am ersten und letzten Ausbildungsjahrgang 49 im sauerländischen Warstein teil. Er ist heute arbeitslos, kann im hohen Alter von 81 Jahren einfach nicht mit den Jungspunden von der somalischen Konkurrenz mithalten. "Ich hatte schon damals ein bisschen das Gefühl, auf den falschen Dampfer gesetzt zu haben. Mein Vater hat immer verächtlich gesagt: Junge, wo willst du denn auf Kaperfahrt gehen? Auf dem Möhnesee? Hätte ich mal was mit Zukunft gemacht wie Heizer bei der Bahn." Die Ausbildung zum staatlich geprüften Piraten war erstmals 1949, mit Beginn der Bundesrepublik Deutschland, möglich. Kein anderer als Adenauer persönlich entsann die dreijährige Ausbildung. Die ausgebildeten Piraten sollten die Reparationszahlungen, die Deutschland nach dem Ende des 2. Weltkrieges zahlen musste, über den Seeweg von den Siegermächten zurückholen. Theodor Heuss verlieh damals jedem Absolventen eine schwarze Augenklappe, einen Stoff-Papageien und zwei Orangen präventiv gegen Skorbut.

Peter Huber erinnert sich noch genau an die Ausbildung. "Wir waren ja geografisch etwas ungünstig angesiedelt, da im Sauerland. Kaum Meer in Sicht. Deshalb ham wir mehr Theorie gepaukt." Neben dem Erlernen echter Seeräuberlieder wie "Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord" und "15 Mann auf des toten Manns Kiste" standen Schatzvergraben (inklusive Wiederfinden), Waschen mit Salzwasser, Kochen mit Salzwasser und Salzen mit Salzwasser auf dem Programm. Huber war eigentlich mit den Ausbildungsinhalten zufrieden, aber etwas wunderte ihn am Lehrplan. "Irritiert hat mich, dass wir überhaupt nicht in Navigation oder Schiffskunde geschult wurden. Einmal haben wir einen Ausflug an die Ostsee gemacht, zum ,Schiffekucken', wie unser Ausbilder das nannte. Das wars."

Möglicherweise war das der Grund für den katastrophalen ersten Arbeitseinsatz der frisch ausgelernten deutschen Piraten. Huber sollte zusammen mit fünf seiner Kollegen von der Insel Borkum aus in See stechen und, so der geheime Auftrag, ein Schiff der Engländer in der Nordsee kapern. Ein Auftrag, der die Grünschnäbel völlig überforderte. "Zwei von uns sind gar nicht erst da angekommen, sondern statt nach Borkum ins westfälische Beckum gefahren. Dort haben der Klaus und der Uwe drei Tage auf ein Schiff gewartet. Kam natürlich nicht." Huber stach notgedrungen mit dem Rest der Crew in See. Doch weil der Steuermann mit der Orientierung auf offener See nicht vertraut war, landeten die Piraten nach acht Wochen Odyssee auf Grönland - ohne je ein anderes Schiff zu Gesicht bekommen zu haben.

Heute kann Huber darüber lachen. "Kalle ist damals gleich da geblieben und hat ein freistehendes Blockhaus geheiratet. Wir anderen haben den Job hingeschmissen und für ein paar Monate auf einem Robbenkutter angeheuert. Die hatten wenigstens jemanden, der wusste, wie man so einen Kahn lenkt. Und drei warme Mahlzeiten pro Tag gab es auch: Robbe gebraten, Robbe frittiert und Robbe flambiert."

Huber hat immer wieder versucht aus seiner Ausbildung etwas zu machen, doch sein Berufsstand hat es in Deutschland schwer. Nach dem desolaten Ergebnis der ersten Ausbildungsrunde hat die Regierung das Projekt einfach totgeschwiegen. Doch als Filme wie "Fluch der Karibik" erfolgreich die Menschen in die Kinos lockten, schöpfte auch Huber neuen Mut. Zusammen mit ein paar Jungs, die er auf dem Robbenkutter kennen gelernt hatte, gründete Huber die Piratenpartei. Aber auch hier sollte ihm kein Erfolg vergönnt sein. "Als die mir was von Hacker erzählten, da dachte ich, die meinten so was wie ein Fleischer auf See." Nachdem Huber dann von Datenwegen statt Seewegen, Entertasten statt Enterhaken und phishing statt Fischen hörte, trat er kurzerhand wieder aus. Huber hat es sogar mit gewerkschaftlicher Organisation versucht. Letztes Jahr im Februar schloss er sich einer Gruppe von Piraten an, die auf dem Weg zu einer großen Demonstration waren. "Das war die Chance für mich, endlich was politisch für den Job zu tun. Wir hatten da auch andere Berufsgruppen mit dabei, die es heute schwer in Deutschland haben: Cowboys, Clowns und Hexen." Nach dem zehnten Kölsch musste Huber allerdings feststellen, dass die vermeintliche Demonstration der Karnevalsumzug in Köln war.

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