die wahrheit: Krach machen in Braunschweig
Die famose, ihrer Zeit um Jahrzehnte vorauseilende Prog-Metal-Band Salems Law, der als Gitarrist anzugehören ich die große Ehre hatte...
D ie famose, ihrer Zeit um Jahrzehnte vorauseilende Prog-Metal-Band Salems Law, der als Gitarrist anzugehören ich die große Ehre hatte, wollte ihrer sehr erlesenen Anzahl Fans mal so richtig zeigen, wie es knallt, wenn ein professionell geführter Schmiedehammer den Amboss zerdengelt. Und Geld verdienen. Also mieteten wir Braunschweigs damalige Nummer eins im Konzertbusiness, das Freizeit- und Bürgerzentrum, für ein paar hundert Mark, die wir dann aber gleich wieder reinbekamen, als sich eine befreundete Band anbot, für denselben kleinen Obolus als Special Guest aufzutreten.
Unerwartete Unkosten gab es allerdings auch. Wir tapezierten in zwei nächtlichen Streifzügen die lokalen Litfaßsäulen voll, und das ist nicht unbedingt erlaubt. Wenn man es wenigstens als umstürzlerisches Rock-n-Roll-Statement hätte verbuchen können. Wir scheren uns nicht ums Gesetz! Aber nein, wir wussten es schlicht nicht besser, waren deshalb sogar eigens zur nächsten Polizeidienststelle gefahren, um uns nach den Plakatierungsmodalitäten zu erkundigen.
Der Diensthabende grinste wissend. "Ahh, ihr kommt sicher, um den Besoffski abzuholen, der pennt noch in der Ausnüchterungszelle. Kleiner Tipp, ich würde den Rücksitz mit Plastiktüten auslegen, der hat sich vollgereihert letzte Nacht."
Als wir den netten Hauptwachtmeister über seinen Irrtum aufklärten und unser eigentliches Begehr vortrugen, wurde er ganz traurig, offenbar weil ihm schwante, dass er heute noch den Rücksitz seines Dienstwagens mit Plastiktüten würde auslegen müssen, antwortete dann aber betont jovial: "Ach, komm her, machta einfach." Das taten wir dann auch - und zahlten ein paar Wochen darauf ein saftiges Bußgeld. Die Achtziger waren ein ziemlich perfides Jahrzehnt. Man konnte keinem trauen, nicht mal den Bullen.
Sonst hatten wir aber alles mit sozialistischem Weitblick durchgeplant. Das "Festival" auf einen Samstag gelegt, damit keiner zu müde von der Schicht war. Am Anfang des Monats, weil da alle noch Kleingeld besaßen. Zudem vergewisserten wir uns, dass an diesem Datum keine deutsche Nationalmannschaft auflief und die Braunschweiger Eintracht zu Hause spielte, was uns Unmengen Frustsäufer bescheren würde, die nach den Augen nun auch noch ihre Ohren beleidigen lassen wollten.
So kam dann alles, wie es kommen sollte. Die guten Jungs in den Kutten waren da. Und irgendeine Gottheit der Trunksucht und der poetischen Gerechtigkeit hatte Eintracht einmal mehr verlieren lassen, so dass die Lokalität nun richtig legebatteriemäßig mit Menschen gefüllt war, die sich betäuben und ihren eigenen Klagegesang nicht mehr hören wollten. Ideale Bedingungen für uns.
Glücklicherweise existiert keine Aufnahme von diesem Konzert. Die würde dem Abend seine leuchtende Gloriole nehmen. Wir musizierten so gut oder so schlecht wie immer. Aber der besoffene Mob vergrößerte unsere limitierten Fähigkeiten wie unter einer Lupe. Wir machten Krach und die lieben Menschen da unten auch. Das hat schon immer gereicht.
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