die wahrheit: Kühle Sünde
Wie der bibelfeste Paderborner Gottesmann Eugen Drewermann eines Tages doch noch zu einem Kühlschrank kam.
"Zwei Stangen Porree, bitte!" Es war wieder einmal Samstag, und Eugen Drewermann war unterwegs auf den Märkten der Welt, die seiner These nach auch von Maria Magdalena mit erschaffen wurden. Einer Frau, der, wie er allein durch sein Denken und Fühlen nachgewiesen hatte, von dieser männlichen, katholischen Welt allzu Böses widerfahren war - wurde sie doch zur Sünderin auf den Knien vor dem Herrn abgestempelt.
Allerdings verspürte Eugen Drewermann, der jetzt seine beiden erworbenen Porreestangen in einem Beutel verstaute, auch einen leichten inneren Hass gegenüber ebendieser Maria Magdalena, durch die er dazu gezwungen war, sich in den Jahren seiner Lebensblüte tief in die öde Märchen-Exegese zu versenken, nur um das Rätsel der doppelten Maria zu klären: Einerseits war sie als Jungfrau Dienerin des klaren, kühlen Himmels, andererseits Dienerin der heißen, verwirrenden Lust auf Erden. Fürs Porree fehlten noch die Zwiebeln, dachte Drewermann.
Zwei Stangen Porree - dieses herzhaft wohlschmeckende Gericht hatte sich Drewermann bereits des Öfteren für den vorheiligen Sonnabend zur Zubereitung eingeplant. Doch immer ging etwas schief. Mal schlief er bei der Wiederholung der x-ten Pater-Brown-Folge am Nachmittag vor dem Fernseher ein, mal vergrub er sich in unchristliche Gedanken darüber, wie er noch öfter in das "ZDF-Nachtstudio" eingeladen werden könnte. Vielleicht sollte er mal den Moderator Volker Panzer mit einem schönen Porree bekochen …
Gerade hatte er das Wasser aufgesetzt, da klingelte seine Nachbarin. Elisabeth von Schuster-Lappen wollte ihm nur mitteilen, dass sie heute morgen die Türe geöffnet habe, um zu sehen, ob die Welt sich schon zum Besseren verändert habe. Schließlich gebe es so viel Sünde und Kälte in der Welt, aber das wisse er, Drewermann, ja am besten.
Bei den Begriffen "Sünde" und "Kälte" erschrak Drewermann, erinnerten ihn die dunklen Worte doch an die größte Lücke in seinem Leben: Er besaß keinen Kühlschrank, ja hatte noch nie einen besessen. Ein Kühlschrank war eitel Tand, es diente nicht der Schöpfung, Lebensmittel auf sechs Grad abzukühlen, bestätigte Drewermann sich wieder und zweifelte aber auch an sich selbst. Jetzt, in der Reife des Alters, überkam ihn manchmal der Gedanke an ein solch feines Gerät. Neuerdings begann er bereits seinen Verzicht in Frage zu stellen. "Bin ich noch ich selber - ohne Kühlschrank?", tönte es dann ungewohnt laut aus ihm heraus.
Neulich erst war ihm der Prospekt eines sogenannten Media-Markts in die sanften Hände gefallen. Wundervolle weiße und silberfarbene Geräte waren da abgebildet, so nah und doch so fern, freute er sich und war auch ein wenig traurig über die kühlen Bilder. Zumal es seine Gedanken beschwerte, dass er den Porree nun verderben lassen musste. Jetzt würde er jedenfalls nicht mehr kochen können.
Es war alles zu viel für ihn, den großen Denker, der an diesem Samstagabend beschloss, seine gesamte intellektuelle Kraft auf die großen Grundfragen der Menschheit zu konzentrieren: Wie komme ich an einen Kühlschrank? Und wie bleibe ich dennoch ein Ketzer? Und wie würde ich gegenüber meinem Publikum diese immer wieder zu Recht aufgeschobene Anschaffung begründen können?
Drewermann starrte auf den Fernsehbildschirm und das "Aktuelle Sport-Studio", das gerade lief. Den Ton hatte er ausgeschaltet, um noch tiefer vorzudringen in die Urgründe des Seins: Warum gelingt mir der Porree nie? Und warum habe ich ständig diese Maria Magdalena im Kopf? Bin ich gar der doppelten Marienverklärung des Papstes anheimgefallen? Kam durch das Weib nicht nur die Sünde, sondern auch die Kälte in die Welt? Und hatten nicht Frauen wie seine Nachbarin die Kälte in der Wohnung, die ihm schon seit Jahren fehlte?
Das ist es!, dachte sich Eugen Drewermann. Ich muss sofort Volker Panzer anrufen und einen Platz im "Nachtstudio" buchen. Eine Epiphanie durchströmte den Gottesmann. Jesus hatte auch keinen Kühlschrank. Aber Maria Magdalena. Genau wie alle Frauen. Wie Elisabeth von Schuster-Lappen. Sie wird meine Maria Magdalena, und so komme ich endlich an einen Kühlschrank.
Erschöpft vom Denken fiel Eugen Drewermann in einen unruhigen Schlaf, der ihn die halbe Nacht lang von eiskalten Porreestangen träumen ließ.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!