die stimme der kritik: Betr.: Trau Dich!
Ein schöner Rücken kann auch erschrecken
Einen erschreckenden Einblick tief hinunter in finstere bundesdeutsche ästhetische Abgründe bietet zurzeit die Fotoserie „Trau Dich“ in der Bild-Zeitung. Die Sie ja sicher, und das aus guten Gründen, nicht lesen. Deswegen sei Ihnen hier kurz erläutert, dass es sich bei „Trau Dich“ nicht etwa um eine christlich-konforme Offensive zur Beförderung des Ehestandes in unserer mehr und mehr von gottlosen Singles beherrschten Gesellschaft handelt. Vielmehr ist „Trau Dich“ eine wörtlich zu nehmende Aufforderung an selbstverständlich geduzte Leserinnen (mit kleinem „i“), „schöne“ Fotoaufnahmen von sich selbst einzuschicken. Und zwar, wo wäre sonst die Traute, Nacktbilder.
Angestoßen wurde die gestern mit 27 „Trau-Dich-Fotos“ geradezu explodierende Serie laut Bild-Zeitung von der „Friseurmeisterin Heidi G. aus Saarbrücken“, die dem Massenblatt vor zwei Wochen ganz zufällig ein Bild von sich selbst einsandte, das sie im Stil des später einem Öl-Texaner angetrauten Unterwäschemodels Anna Nicole Smith die Beine hochlegend im Mieder zeigt.
Recherchen, die von der taz-Chefredaktion sofort veranlasst und schnell, schnell durchgeführt wurden, legen den Verdacht nahe, dass es Heidi G. nicht gibt, jedenfalls nicht in Saarbrücken und schon gar nicht als Friseurmeisterin. Dafür ist die Aufnahme einfach zu gut.
All die anderen mutigen Leserinnen gibt es – das ist der zwingende Umkehrschluss. Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen wurden sie gelockt, einem eigentlich nicht existenten Beispiel willenlos zu folgen. Ins Verderben.
„Ich möchte mal die Augen meines Freundes sehen, wenn er heute die Bild-Zeitung aufschlägt ...“, freut sich „Kim K. (22) aus Ingelheim“, wohl schon mit einer Vorahnung der Erkenntnis, dass er sich vielleicht eher wundern, weniger freuen wird. „Gerlinde B. aus Konstanz“ ist 38 und Kosmetikerin und hat sich mit Weichzeichner fotografieren lassen. Mehr ist zu ihrem Foto nicht zu sagen, will man nicht ausfallend oder hämisch werden. „Renate B. aus Uetersen verriet uns leider nicht ihr Alter. Aber ihr Verlobter ist von ihrem Foto begeistert.“ Punkt.
Sollte man Bild Vorwürfe machen? Nein! In einer Demokratie kann niemandem verboten werden, seine eigene Würde anzutasten. In diesem Zusammenhang sei noch angemerkt, dass der Autor die geplante Einstellung des TV-Magazins „Peep“ sehr bedauert. Das Sie ja sicher, und das aus guten Gründen, nie gesehen haben. STEFAN KUZMANY
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen