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die ortsbegehungIm Reich des P-Werts

Blaualgen bedrohen Badeseen, auch wegen des wärmeren Klimas. In Bremen gibt es Versuche, den Unisee zu schützen – manche sind ein bisschen halbherzig

Im Kampf gegen den Phosphor stören noch die Karpfen Illustration: Jeong Hwa Min

Aus Bremen Lotta Drügemöller

Was unter, was über dem Wasser passiert, ist kaum zu unterscheiden, die Farben verschwimmen auf dem spiegelnden Stadtwaldsee zu einem Bild: die Blätter der überhängenden Esche, der blaue Himmel, faserige weiße Wolken – und faserige grüne Wolken: Algenschlieren unter der Oberfläche. Wie Marmorpapier sieht das aus.

Die Algenschlieren sind ein Problem. Vielleicht nicht genau diese: Es gibt unbestimmt viele Algenarten, und die problematische Blaualge, die ist eigentlich ein Cyanobakterium. Aber welche Laiin erkennt das so genau?

Die Blaualgen jedenfalls machen der Bremer Umweltbehörde Sorgen. Giftig sind sie, gefährlich für Mensch und Tier, wenn sie sich zu stark vermehren; das passiert, wenn das Wasser warm und der Nährstoffgehalt hoch ist. Im Jahr 2024 kam die Algenblüte im Stadtwaldsee schon im April, „ungewöhnlich früh“, wie die Umweltsenatorin damals schrieb; dieses Jahr gibt es eine Warnung vom 21. März.

Der Bremer Stadtwaldsee im Norden der Stadt ist umgeben von Grün und Autobahn. „Unisee“ heißt der er im Volksmund; die Hochschule liegt um die Ecke, und mit ihr ein Gewerbegebiet für Spitzentechnologie; der Fallturm am Horizont weist darauf hin. Nur zwei, drei Kilometer ist der Weg um den See lang, vorbei an Sandstrand und Windsurfing-Club, vorbei am Dauercamping und am FKK-Strand. 15 Grad ist es warm – für rund zehn Männer reicht das, um sich hier nackt in die Sonne zu stellen. Ob sie sich lästige Hosen anziehen, um die 500 Meter rüberzugehen zum Toilettenhäuschen am Hauptbadestrand? Im Wäldchen, das den FKK-Bereich abschirmt, liegt Klopapier, wie hingetupfte Blüten. Und zum Pinkeln, da gibt es ja noch den See.

Ungerecht ist es, die FKK-Gäste herauszupicken: Alle pinkeln in den See; die Stadt hat prüfen lassen, wie See und Badegäste weiter in Harmonie existieren können. Das Gutachten ist eindeutig: Entscheidend für die Algenblüte ist der P-Gehalt. P steht für Phosphor.

In der Stadt steht P vor allem für Pipi

Und in der Stadt, fernab von überdüngten Äckern, da steht P vor allem für Pipi. Für etwa die Hälfte des jährlichen P-Eintrags macht das Gutachten die Badenden verantwortlich. Ein Prozent davon über Sonnencreme, der Rest ist Urin. Das Gutachten verdächtigt jeden der mehr als 82.000 Badegäste im Jahr; 7,4 Kilo Phosphat sollen so zusammenkommen.

Da sind sie ja, die mutmaßlichen Übeltäter: Ein Pärchen lässt sich nicht schrecken vom 16 Grad kalten Wasser. Verdächtig! Auch ein junger Mann trocknet in der Sonne, neben dem DLRG-Häuschen. Na, na!

Aber was sollen sie auch tun? Wer den Weg zu den Toiletten sucht, der steht an diesem Tag im Mai vor verschlossenen Türen. Das Klohäuschen aus Stein ist umwuchert von Gestrüpp, „Kotze“ hat einer groß in Silberchrom auf die Wand gemalt. Ein einsames Dixi-Klo ist ebenfalls abgeschlossen. In diesem Sommer soll alles besser werden, verspricht die Behörde: Es soll häufiger geputzt und ein zusätzlicher Toilettenwagen aufgestellt werden. Toi, toi, toi!

Es ist nicht die einzige Maßnahme gegen Phosphor. Weiter im Norden führt der Weg dicht entlang am Ufer. Am Sandstrand im Süden können selbst Kleinkinder weit in den flachen See hineinwaten, aber im Norden, sagt das Gutachten, ist das Ufer „steil abschüssig“. Gemeint sind kleine Abbruchkanten zwischen Baumwurzeln und Gestrüpp.

Spielend lassen sie sich überwinden, man ahnt, dass Badende hier in den See steigen, fernab vom Trubel. Man ahnt? Ach, falsch! Ich selbst hab schon mein Badetuch hier ausgebreitet, bin die Böschung heruntergeschliddert und habe die Erosion vorangetrieben. Schande.

Um die Abbruchkanten zu schützen, werden sie mancherorts festgehalten von Pfosten und Steinen. An einer Stelle wurde ein ganzer Baumstamm als Schutz an die Uferkante geklemmt, er treibt noch aus. Im Laufe des Jahres sollen noch mehr Befestigungen entstehen; dahinter sollen sich neue Flachwasserzonen mit Schilfgürteln bilden können. Mancherorts sieht man es schon, das Schilf: Es hält den Boden fest und den dort gebundenen Phosphor.

Nix wie hin

Die Besonderheit

Die Wasserqualität am Baggersee ist seit Jahren ausgezeichnet. So wie 90 Prozent der Badegewässer in Deutschland. Auch ansonsten ist es ein See wie hundert andere in der Re­pu­blik, stadtnah im Grünen, Bänke, Böschung, Sand und gut.

Das Zielpublikum

Kinder. Hunde (psst: eigentlich nicht!). Studierende. Kajakfahrerinnen, Stand-up-Paddler. Pommesfreunde. Nacktbadende und solche mit Textil. Und Angler. Der Unisee ist für alle da.

Hindernisse auf dem Weg

Ein paar Kilometer mit dem Rad durch Bürgerpark und Stadtwald sind keine Hürde, die Blaualgenblüte kann aber eine Badesperrung nach sich ziehen. Dann muss man den See von außen bewundern: den Sand an den Füßen spüren, den Fallturm am Horizont betrachten und auf das Rauschen der Silberpappeln und der nahen A 27 hören.

Wenn andere Pflanzen den Phosphor verbrauchen, können das die Algen nicht tun, so die Hoffnung. Ein Gewässerwart erzählt von Totholzbündeln, die seine Anglerfreunde vor Kurzem in den See geworfen haben: Eine Kinderstube für kleine Fische und ein Schutz gegen Wellenbildung, damit junge Wasserpflanzen sich hier ansiedeln können.

Der Gewässerwart angelt Karpfen

Der Gewässerwart steht am Südufer des Sees, vor einem Zelt. Ein paar Angelruten sind aufgespannt. Die Angler richten sich ein: „Grill anschmeißen?“ – „Nix dagegen.“ Die kleine Runde wird hier übernachten. Sie sind im Auftrag der Stadt da. 150 von 350 Karpfen im See sollen sie rausholen und umsiedeln. Karpfen buddeln im Schlamm und zerstören so die Vegetation: alles, was nicht Alge ist, sondern einen Grund zum Wurzeln braucht.

Eigentlich sollten sie noch gar nicht da sein, die Angler. Erst am Wochenende ist wieder Hege­angeln angekündigt; an drei Infotafeln weist die Stadt darauf hin, dass Badegäste dann nicht erwünscht sind. Zum letzten Hege­angeln am 1. Mai kamen die Menschen trotzdem, die Fische flüchteten. „1.000 Leute“, sagt einer der Angler lakonisch, „gegen fünf von uns. Was will man da machen.“

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