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die dritte meinungDas Massaker vom 7. Oktober neu zu bezeichnen, ist fragwürdig und unnötig, sagt Michael B. Elm

Die Knesset hat ein neues Gesetz verabschiedet, das die Leugnung des Massakers vom 7. Oktober 2023 in Israel mit einer Haftstrafe von fünf Jahren belegt. Mit der Gesetzesinitiative ist eine neue Nomenklatur verbunden. Das Massaker soll nun Schmini-Azeret-Massaker heißen. Benannt nach dem Datum des jüdischen Kalenders, an dem die Lesung des Torazyklus endet. Simcha Rothman, einer der Architekten der umstrittenen Justizreform, sitzt dem zuständigen Knesset-Komitee vor. Er begründet die Umbenennung damit, dass die Hamas bei der Ausübung des Massakers den jüdischen Kalender vor Augen gehabt habe.

Man fragt sich, warum sich ein hochrangiges Regierungskomitee mit der Umbenennung des Massakers befasst, während man es bislang nicht vermochte, eine Untersuchungskommission zu dessen Aufarbeitung zu schaffen. Argumentiert wird damit, dass es schon bald nach dem 7. Oktober zu dessen Verharmlosung und Leugnung kam. Das ist sicher richtig, hat aber wenig mit der israelischen Erinnerungslandschaft zu tun. Der erinnerungspolitische Sinn erschießt sich, wenn man die parallel stattfindenden Versuche von Premierminister Benjamin Netanjahu bedenkt, den Gazakrieg als „war of revival“ zu vermarkten. Die Memorialstruktur der Benennungen orientiert sich an der aus dem israelischen Kalender bekannten Abfolge von Gedenk- und Feiertagen, welche eine Logik von Katastrophe zur Erneuerung vorgibt. Diese soll nun auf Massaker und Krieg übertragen werden, um deren Bedeutungsgehalt zu verschieben.

Netanjahus Umfragewerte sind noch immer im Keller. Mehr als 60 Prozent der Israelis meinen, er sollte abtreten. Der 7. Oktober lastet wie ein unauslöschlicher Schandfleck auf dem Renommee des Premiers. Die Benennung „Schmini Azeret“ ist der Versuch, das vermeidbare Versagen von Regierung und Armee ins jüdisch-israelische Gedächtnis zu überführen, in dem Massaker und Krieg als Ausdruck eines ewigen Antisemitismus bewertet werden. Bislang findet das in Israel wenig Anklang. Gut so, möchte man meinen.

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