die dritte meinung: Die Würde des Menschen wird in der EU-Migrationspolitik immer antastbarer, sagt Felix Braunsdorf
Der britische Premier Keir Starmer hat den Flüchtlingsdeal mit Ruanda beerdigt. Das Abkommen, das vorsah, Schutzsuchende gegen ihren Willen ins 6.000 Kilometer entfernte Ruanda zu schicken, ist gescheitert. Ob EU-Staaten diesem Beispiel folgen und ihren Abschreckungskurs beenden, bleibt abzuwarten.
Denn die Maxime, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, wird durch die europäische Migrationspolitik zunehmend infrage gestellt. Seit Jahren arbeitet die EU an der Abschottung Europas, um Schutzsuchende fernzuhalten. Dies geschieht zunehmend mit Gewalt, wie Berichte von Ärzte ohne Grenzen zeigen.
Außer Leid und Elend haben die Maßnahmen wenig bewirkt. Einige Staaten sprangen deshalb auf die Idee der Auslagerung von Asylverfahren auf.
So wollte Italien ab Mai 2024 Asylverfahren teilweise in Lager in Albanien auslagern. Wegen baulicher Probleme wurde der Termin verschoben. Auch die Bundesregierung hat geprüft, ob die Auslagerung von Asylverfahren mit dem Völker- und Europarecht vereinbar ist.
Das Ergebnis nach einer mehrmonatigen Expertenanhörung war eindeutig: Die Mehrheit sah ein erhebliches Risiko von Rechtsverletzungen, befürchtete mehr Bürokratie sowie hohe finanzielle und geopolitische Kosten. Denn wenn der Westen sich aus dem Flüchtlingsschutz zurückziehe, was sollen da ärmere Länder tun, die viel mehr Menschen aufnehmen. Zudem sei die abschreckende Wirkung der Auslagerung nicht belegt. Nur eine Minderheit befürwortete die Idee.
Felix Braunsdorf
38, ist politischer Referent in der Berlin Advocacy Unit von Ärzte ohne Grenzen Deutschland. Er arbeitet dort zu dem Themen Flucht und Vertreibung mit dem Fokus auf humanitärer Hilfe im Kontext der Migrationspolitik.
Die Bundesregierung will auf Bitte der Ministerpräsidenten weiter prüfen und sogar konkrete Modelle entwickeln. Doch stattdessen sollte sie lieber die Stimmen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft ernst nehmen und die Idee verwerfen.
Statt die Verantwortung auf Länder außerhalb der EU abzuwälzen, sollte die Bundesregierung sich für mehr humanitäre Hilfe einsetzen, Aufnahmeländer unterstützen und das Recht auf ein faires Asylverfahren verteidigen.
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