der polit-rocker: Keine Distanz zur Jugendsünde
Das Risiko Frank Steffel
Frank Steffel hat sich am Wochenende wieder als Wahlkämpfer gezeigt. Als sei in den vergangenen Tagen nichts gewesen, trat der CDU-Spitzenmann in buntem Hemd auf dem Weißenseer Blumenfest auf und schüttelte – bis ihn ein rohes Ei aus dem Konzept brachte – Hände. Es war ein peinlicher Auftritt vor dem Hintergrund inkriminierter Äußerungen, über die das Maganzin Max berichtet hatte, gibt Steffel sich doch weiter als Opfer denn als Täter. Die letzte Chance, am politisch ruhigen Wochenende den folgenschweren Fauxpas durch ein „Mea culpa“ zu korrigieren, hat der CDU-Anwärter auf das Amt des Regierenden Bürgermeisters damit vertan. Ja, mehr noch. Frank Steffel macht seit einer Woche nicht nur alles falsch, er hat jede Glaubwürdigkeit für sich, seine Karriere und seine Partei verspielt.
Die Debatte um Joschka Fischers Vergangenheit als Frankfurter Straßenkämpfer hätte Steffel von Nutzen sein können. Dass er sie nicht genutzt hat, zeigt nicht nur, dass er kein Fischer ist, sondern ebenso, dass das politische Geschäft sein Metier nicht ist. Wo Fischer die Größe hatte, Verantwortung für seine Prügeleien zu übernehmen, hat Steffel gekniffen. Wo Fischer eine Entschuldigung für angebracht hielt, zeigt Steffel sich uneinsichtig. Und wo gar Bundestagspräsident Thierse eine Absolutionsbrücke baute zwischen Jugendsündern und Geläuterten (wonach ein ehemaliger Skinhead, wenn er sich verändert, auch Minister werden kann), pfeift Steffel auf die Kritik an seinen Pöbeljahren und spricht von Schmutzkampagne.
Dabei hätte es ganz leicht für ihn sein können: Ein einfaches John-F.-Steffel-„Sorry“ hätte zwar nicht genügt. Aber es wäre das Zeichen gewesen für eine klare Distanzierung von den diskriminierenden Äußerungen und den Bewusstseinswandel, den Steffel hätte an den Tag legen müssen.
Nichts davon ist geschehen. Ob sein Wahlkampfteam – wie schon bei anderen Gelegenheiten – ihn falsch beraten hat, spielt keine Rolle. Zu offensichtlich waren die Indizien, Steffel zu einer Kehrtwende und einer deutlichen Entschuldigung zu veranlassen.
Erlebt haben wir ein Verwirrspiel, das den CDU-Mann nur noch mehr diskreditiert hat. Unter Berufung auf ehemalige Schulkameraden von Steffel hatte Max geschrieben, der CDU-Politiker habe als Schüler fremdenfeindliches Vokabular benutzt, und laut Max bestritt Steffel diese Sprüche nicht. Kurz darauf dementierte Steffel seine Aussagen, indem er schriftlich mitteilen ließ, dass „dieses Vokabular damals nicht meinem Wortschatz und natürlich auch heute nicht entsprach“. Die Darstellung sei schlicht falsch. Steffels Sprecher dagegen bestätigte, dass der Kandidat im Gespräch mit dem Magazin nicht ausschließen wollte, die dort zitierten Worte „Bimbos“, „Kanaken“ und „Mongos“ benutzt zu haben.
Selbst als Max das Gespräch samt Originalton ins Internet stellte, bockte der CDU-Mann. Sein Wahlkampfleiter beschuldigte die Sozialdemokraten und ihre linken publizistischen „Hilfstruppen“, Drahtzieher einer Schlammschlacht gegen ihn zu sein.
Bis dato gibt es kein stichhaltiges Dementi der Max-Äußerungen, geschweige denn eine Revision des Steffel-Satzes: „Jetzt kann man darüber streiten, darf der das, darf der das nicht?“ Solange es für Steffel nicht selbstverständlich ist, dass man sich genau darüber weder streiten noch sonst was darf, dass es für ihn schlichtweg nicht Usus ist, Schwarze, Türken und Behinderte zu beleidigen, führt kein Weg ins Rote Rathaus. Kein Kandidat kann von sich sagen, er habe keine Leichen im Keller. Bei Steffel aber kann man sich wohl nicht sicher sein, dass noch jede Menge hinzukommen.
Steffels charakterliches Manko, sich für die Pöbeleien nicht zu entschuldigen, sondern in dickfälliger Vorwärtsverteidigung in Richtung politischer Gegner zu operieren, wird auch die Partei verschrecken. Dass Steffel als lauter Politrüpel aus Reinickendorf bekannt ist, wusste man. Dass er jedoch seine Jugendsünden in der CDU nach Diepgen und Landowsky nicht beerdigt, wird der Partei zu denken geben. Noch hat in der CDU niemand laut ausgesprochen, was hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wird: Der Spitzenmann hat sich um Kopf und Kragen und die Partei um jede Gewinnchance bei der Wahl im Oktober gebracht.
Dabei war Steffel angetreten, die alte westberlinlastige CDU zu erneuern, den Geruch von Filz und Vetternwirtschaft zu beenden und in Gestalt des jungen Mitstreiters den Generationswechsel zu forcieren. Steffel hat ohne Zweifel Punkte gemacht. Von Eberhard Diepgen spricht in der Stadt niemand mehr; was Klaus Rüdiger Landowsky so macht, weiß keiner. Er holte Emine Demirbüken, die junge Ausländerbeauftragte von Tempelhof-Schöneberg, in sein Team. Steffel, obwohl als Kommunistenfresser im Wahlkampf aufgetreten, hat Signale in Richtung Grüne ausgesandt. Darin steckt zwar wahlstrategisches Kalkül, dennoch bleibt es ein Schritt, den andere Christdemokraten nicht gewagt haben. Hinzu kommt, dass Steffel mit der vorläufigen Wahl von Joachim Zeller zum CDU-Generalsekretär – einem Ostberliner und integrativen Bezirksfürsten – ein Coup gegen Diepgens Kandidatin gelungen war. Mehr aber war nicht.
Zum Risikofaktor für den Wandel in der Partei und deren liberales Image, das etwa Peter Kurth (Exfinansenator), Wolfgang Branoner (Exwirtschaftssenator) oder Vizefraktionschef Alexander Kaczmarek verkörpern, wird Steffel nun nicht nur wegen fehlender Läuterungsbereitschaft. Zum Risiko wird Steffel auch aufgrund mangelnder politischer Perspektive, die sein Lagerwahlkampf offenbart: Eine Steffel-CDU im Stile der konservativen Reinickendorfer Politrocker führt die Partei geradewegs dahin zurück, woher sie kam und wohin sie nicht mehr zurückwollte: in die Zeit des Kalten Kriegs zwischen Ost und West und weitab von Berlin als toleranter weltoffenen Stadt. ROLF LAUTENSCHLÄGER
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