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der homosexuelle mann

von ELMAR KRAUSHAAR

. . . wird zurückgepfiffen. Nach wochenlangem euphorischem Trara um die bevorstehende Heterosexualisierung der Homos wird zurückgerudert. Auf der politischen Seite häufen sich die Signale, dass die Homo-Ehe nicht so passieren wird, wie sie im ersten Überschwang versprochen wurde. Wir können sicher sein, dass bei den Koalitionspartnern jetzt schon heftig an den Ausreden gefeilt wird, die nach der Sommerpause das Nachgeben bemänteln sollen.

Im publizistischen Reigen gibt der Stern die neue Linie vor: „Wie Schwule wirklich leben“, schreit das Magazin vom Sommerloch-Titelblatt, um im Heft die ungeschminkte Wahrheit rauszulassen. „Sich erst verstecken, dann entdecken und dann einfach anders leben“, heißt die Stern-Parole und will die Schlagzeilen der vergangenen Wochen vergessen machen, wo uns gerade das Gegenteil von „anders“ eingebimst wurde. Dass Schwule doch eigentlich genau so seien wie Greti und Pleti und als letzten Schritt auf dem Weg in die endgültige Versenkung bürgerlicher Anständigkeit nur noch den Trauschein benötigen.

Der schwule Stern-Kollege Werner Hinzpeter aber hat genau recherchiert: Schwule können paarweise miteinander auskommen, aber „offen“ – meint, der Seitensprung gehört dazu wie der Bulthaup-Küchenblock und das Pacific-Rim-Menu. Ein Lifestyle-Muss ebenso wie die „Wahlfamilie“, die sich der Schwule selbst zusammenstellt aus bester Freundin, dem immer noch vorzeigbaren Ex-Lover, der toughen Nachbarin über 75, dem Kuschelpartner aus der ersten Coming-Out-Gruppe und der cleveren Finanzberaterin. Außerdem steht im Stern: „Schwulen sieht man ihr Anderssein nicht an.“ oder „Und der Alltag? Fast wie bei Heteros.“ oder „Die Vielfalt schwulen Lebens ist riesig.“ Das sind die topaktuellen Merksätze. Zwar ziehen damit schwule Aufklärer seit Jahrzehnten durch die Lande, um jetzt aber verbittert festzustellen: Wir müssen schon wieder von vorne anfangen! So hocherfreut man sein muss, dass ein auflagenstarkes Medium der verlogenen Homo-Ehen-Propaganda widerspricht, steckt in der Entgegnung des Stern gleichzeitig das ganze Drama: Das Interesse der Heteros am Leben der Homos liegt noch weit unter ihrer Wissbegier nach Details über die Paarungsriten der Tuaregs.

Schwule haben in den vergangenen Wochen mit Bravour ihren Beitrag zur Heterolüge der Homos geleistet. Das können sie schließlich: Den Hetero raushängen lassen zur rechten Zeit, den abgespreizten kleinen Finger einfahren bei Gefahr. Die Techniken der Camouflage sind des Schwulen zweite Haut. So gibt er der erfreuten Öffentlichkeit bei günstiger politischer Großwetterlage den heiratswütigen Gleichgeschlechtlichen. Das ganze Spießer-Repertoire wird aufgezogen aus dem Effeff, er kennt all die faulen Hetero-Tricks aus jahrzehntelanger Abgrenzungspraxis.

Und jetzt? Langsam sortiert sich das Geschehen. Mit der Rumpf-Homo-Ehe im Visier begleitet von dem Stern-Dementi der jüngsten Propagandalügen wird die Lage ernst. In der Mitte der Gesellschaft? Oder endlich den Kopf hinhalten?

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