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der homosexuelle mann ... von ELMAR KRAUSHAAR

… tappt in die Falle, ganz langsam und fast unbemerkt. In die Falle der Wohlanständig- und Biederkeit. Verliebt, verlobt, verpartnert – der Wunsch nach Anpassung und Eingliederung wird zur Sackgasse.

Es stand auf Seite 1 in der Süddeutschen, der Zeitung, die bekannt ist für die bessere Haltung und die sicheren Argumente – homofreundlich war sie dagegen nie. Jetzt aber steigt sie tapfer in die Bütt mit der traurigen Geschichte von den armen homosexuellen Menschen im Kampf gegen die großen Versicherungskonzerne: „Kein Schutz für Schwule“. So unlauter die Praxis der Versicherer, bei schwulen Antragstellern einen Aids-Text zu verlangen, so hanebüchen gerät die Verteidigungsrede der Süddeutschen für die Diskriminierten. Danach sei Aids nicht wirklich ein Problem der Schwulen: „Aids tritt im Strichermilieu häufig auf, aber deutlich seltener bei Paaren in stabilen Partnerschaften.“

Puuh! Darauf muss man kommen. „Strichermilieu“ contra „stabile Partnerschaften“, Äpfel gegen Birnen: Wen aber meint der SZ-Autor eigentlich mit „Strichermilieu“? Die schmutzigen Jungs am Bahnhof Zoo und die schmierigen Herren hinter hochgeschlagenem Mantelkragen? Das Klischee funktioniert nicht und ist ganz sicher auch nicht die Kehrseite vom Stabilitätspakt in der Zweiraumwohnung. Anzunehmen also, dass hiervon gar nicht die Rede ist, das „Strichermilieu“ aber synonym steht für all jene ohne feste Absichten. Den gewöhnlichen Homosexuellen also, mit häufig wechselndem Geschlechtsverkehr in dunklen Ecken und zur unpassenden Zeit. Denn wenn überhaupt – so die schlichte Logik –, blüht das Leid mit dem Aids doch nur hier und nirgendwo sonst.

Das Leben indes ist nicht so einfach wie das Einmaleins, und das sexuelle gleich gar nicht. Eine Nachfrage bei kompetenter Stelle hätte genügt, um zu erfahren, dass das „Milieu“ versus „stabil“-Konstrukt nicht zu belegen ist, mit keiner Statistik und keiner Zahlenspielerei. Im Gegenteil, der Berliner Soziologe Michael Bochow – eine ganz kompetente Stelle für derlei Nachfragen – hat in seiner seit über zehn Jahren fortlaufenden Studie „Schwule Männer, Aids und Safer Sex“ wiederholt festgestellt, dass „in festen Beziehungen nicht nur der Analverkehr häufiger praktiziert wird, sondern auch häufiger Risikokontakte eingegangen werden“.

Die Homosexuellen lügen oft genug, dass sich die Balken biegen, mit falschen Zahlen und falschen Gleichungen. Mitunter zu Recht, schließlich geht es darum, endlich auch einmal einen Vorteil rauszuschlagen. Aber warum täuscht die Gegenseite so oft so ungeschickt mit falschen Behauptungen? Hier zumindest ist der Wunsch der Vater des Gedankens: Mit der Homoehe im Rücken kann man endlich die Minderheit sortieren nach Guten und Bösen, nach Belehr- und Unbelehrbaren, nach jenen, die eine Lebensversicherung verdienen oder eben nicht. Außerdem – so steht’s im ehrenwerten „Streiflicht“ der ehrenwerten Zeitung nur einen Tag darauf – „zu unseren treuesten Begleitern zählt das Vorurteil“.

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