debatte: Amerikaner in Gaza
Trumps Plan, die Bevölkerung im Gazastreifen kurzerhand auszutauschen, stößt in Israel auf breite Unterstützung. In der Diaspora sieht es anders aus
Kaum schweigen die Waffen im Gazastreifen, schon ziehen israelische Truppen in den unheilvollen Kampf im Westjordanland. Regierungschef Benjamin Netanjahu brüstet sich damit, ganze Straßenzüge zu zerstören. Rund 40.000 Palästinenser wurden dort bereits vertrieben. Eine fast harmlose Zahl angesichts der rund zwei Millionen obdachlosen Menschen im Gazastreifen.
Seit den Anfängen des Zionismus hegten bekannte Namen, wie der Visionär des Judenstaates Theodor Herzl, Israels erster Ministerpräsident David Ben-Gurion oder der legendäre einäugige Verteidigungsminister Mosche Dajan, Fantasien und gar Pläne für die Umsiedlung der einheimischen Bevölkerung. Sie gründeten auf Lebensraum- und Sicherheitserwägungen, die durch rassistische und religiöse Argumente untermauert wurden.
Die derzeitige israelische Regierung hat sich besonders lautstark und unverblümt zu ethnischen Säuberungen zu Wort gemeldet. US-Präsident Donald Trump hat diesen Umsiedlungsträumen nun das Siegel der US-amerikanischen Zustimmung verliehen. Es überrascht daher nicht, dass einige Israelis begeistert sind.
Bezeichnenderweise beschränkt sich die Euphorie für Trumps Plan nicht auf rechtsgerichtete jüdische Extremisten, sondern sie ist im gesamten politischen Spektrum Israels zu hören. Selbst führende Politiker der Opposition schließen sich dem Chor des Dankes an den großen Führer Trump an.
Bemerkenswert ist, dass Trump den Gazastreifen keinesfalls an Israel übergeben will. Stattdessen wollen die USA das Küstengebiet übernehmen und zu einer Riviera umgestalten. Trump verspricht, dass die USA für die Beseitigung aller gefährlichen Blindgänger und anderer Waffen auf dem Gelände verantwortlich sein werden. Er habe die Pläne mit regionalen Führern besprochen und sie unterstützten die Idee. Das allerdings dürfte Trump’sche Auslegung sein.
Ein Zuhause für alle Menschen der Welt solle der Gazastreifen werden. „Die Riviera des Nahen Ostens …, das könnte so großartig sein.“ Bereits im vergangenen Oktober sprach Trump über den Gazastreifen als Immobilienprojekt, mit einem Potenzial, das an Monaco heranreiche.
Es mag sein Schwiegersohn Jared Kushner sein, der ihm diese Idee unterbreitet hat. Schon im vergangenen Jahr machte Kushner seinen Schwiegervater auf die Grundstücke direkt am Mittelmeer aufmerksam. Damals war der Krieg zwischen der Hamas und Israel noch in vollem Gange, aber Kushner erkannte das Potenzial. Schließlich sei es auch im israelischen Interesse. Er jedenfalls wolle sein Bestes tun, um „die Menschen hinauszubewegen und dann aufzuräumen“. Trump und Kushner sprechen über die Gentrifizierung von Gaza: die Einheimischen rausschmeißen.
Wie Kushner bin ich Jude. Aber seine Faszination für den Gazastreifen als Profitcenter kann ich nicht teilen. Wir sprechen immerhin von zwei Millionen Menschen. Zwei Millionen Leben. Zwei Millionen Palästinensern, von denen die meisten Flüchtlinge der zweiten, dritten oder vierten Generation sind, die im Krieg von 1948 ihr Zuhause im Gebiet des heutigen Israel verloren haben und im Gazastreifen Zuflucht fanden. Seitdem hat Israel ihre Rückkehr in ihre alten Häuser und Dörfer verhindert. Nun hat Israel den barbarischen Angriff der Hamas vom 7. Oktober ausgenutzt und mit Hilfe amerikanischer Waffen und Munition sowie finanzieller und diplomatischer Unterstützung weite Teile des Gazastreifens zerstört. Und jetzt hofft man in Jerusalem, die Palästinenser aus dem Gebiet komplett zu vertreiben. Wohin? Das interessiert sie nicht. Nur weg.
80 Prozent für den Transfer
Bevölkerungstransfers sind weder ein neues noch ein einzigartiges Phänomen. Doch mit ihrer eigenen Geschichte vertraute Deutsche sollten wissen, wie viel Leid und Traumatisierung Vertreibungen und Heimatverlust mit sich bringen. Die Neuregelung der Grenzen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs führte zur Vertreibung und erzwungenen Umsiedlung von mehr als 12 Millionen Deutschen.
Wir Juden haben eine besonders lange Geschichte der Verfolgung und Vertreibung, der erzwungenen Migration und Umsiedlung. Leid und Schmerz haben unsere Geschichte geprägt und unsere Identität geformt. Und dann zeigen Umfragen tatsächlich, dass 80 Prozent der israelischen Juden die ethnische Säuberung des Gazastreifens unterstützen. Ausgerechnet wir Juden, die wir im Laufe der Geschichte immer wieder unter Vertreibungen zu leiden hatten und denen die internationale Gemeinschaft die Möglichkeit gegeben hat, einen eigenen Staat zu gründen, vertreiben nun Menschen mit Waffengewalt aus ihren Häusern.
Die Brutalität der Immobilienhändler, die bei dem Gedanken an profitable Rivieras ins Schwärmen geraten, überrascht mich nicht. Über die Zustimmung in Israel schäme ich mich aber zutiefst.
Die Gründung des jüdischen Staates und sein Erfolg erfüllten viele Juden in der Diaspora mit großem Stolz. Sie werden jedoch nicht umhinkommen, sich früher oder später mit der Dissonanz zwischen ihren Werten und ihrer Loyalität gegenüber einem jüdischen Staat auseinanderzusetzen, dessen Verhalten genau diesen Werten widerspricht. Für viele wird dies eine schmerzhafte Entscheidung sein. Die Besetzung des Westjordanlands durch Israel, in dem sich Hunderttausende jüdische Siedler gemütlich einrichten, und ein apartheidähnliches System stellen nicht nur viele Juden in der Diaspora vor ein moralisches Dilemma, sondern führen auch zu einem Anstieg des weltweiten Antisemitismus. Die jüdische Welt braucht dringend moralische Führungspersönlichkeiten, die uns den richtigen Weg weisen, von dem wir auf tragische Weise abgekommen sind.
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