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debatteStrategisch wählen

Einige Linke erwägen, ihr Kreuz bei Grünen oder SPD zu machen. Noch besteht aber eine echte Chance, dass Die Linke es in den Bundestag schafft

Zwischen Rauchschwaden und Resignation zirkulieren durch linke Kneipen zurzeit zwei Ideen: Angesichts der düsteren Aussichten setzen manche schon auf Preppen. Gemeint ist damit nicht, Konserven und Waffen zu horten, wie es Nazis tun, sondern sich selbst zu organisieren. Wie schützen wir uns vor Hochwasser, wenn der Staat es nicht tut, wie führen wir Schwangerschaftsabbrüche durch, wenn der Staat diese verbietet, und so weiter. Dem lässt sich durchaus etwas abgewinnen. Auf das Schlimmste vorbereitet zu sein, kann nicht schaden. Es schließt keineswegs aus, im Hier und Jetzt noch etwas zu versuchen. Die zweite Frage, die derzeit viele beschäftigt, lautet: Sollte man nicht „strategisch wählen“? Diese schräge Idee geistert durch Köpfe von globalisierungskritischen Rent­ne­r:in­nen genauso wie von israelsolidarischen Gewerkschafter:innen. Leute, die seit Jahren gute Gründe anführen, warum sie Die Linke wählen: weil es ist die einzige Partei sei, die sich für echte Umverteilung einsetze, die den Klimawandel sozialverträglich abschwächen wolle, die niemanden im Mittelmeer ersaufen ließe. Und so weiter.

Diese Linken verachten das bürgerliche Bündnis 90/Die Grünen, das Dörfer wie Lützerath für den Kohleabbau zerstört, mit autoritären Machthabern wie in Katar handelt und das mit seiner Zustimmung zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (Geas) auch den letzten Rest Menschlichkeit zugunsten des Machterhalts geopfert hat.

Sie schimpfen auch über das von der SPD durchgedrückte Sondervermögen fürs Militär – 100 Milliarden Euro –, die in ihren Augen besser für Soziales, Frauen, Bildung, Klima und Kultur ausgegeben worden wären. Sie sind sauer, dass die Ampel weder eine ordentliche Kindergrundsicherung hinbekommen noch Paragraf 218 abgeschafft hat. Die Liste ließe sich fortsetzen. Und genau diese Leute erwägen nun, mit Grünen und SPD ebenjene zwei der an der katastrophalen Ampelregierung beteiligten Parteien zu wählen?

Politisch ist das schwer nachzuvollziehen. Psychologisch könnte man von kognitiver Dissonanz sprechen. Erklären ließe sich der Widerspruch vielleicht mit der Sehnsucht dieses gebildeten Milieus, auf keinen Fall naiv, sondern gut informiert und pragmatisch zu wirken. Eine andere Motivation könnte der Glaube sein, eine Niederlage besser zu verkraften, je früher man beginnt, sie zu akzeptieren.

Lotte Laloire

ist Redakteurin im Ressort tazeins. Seit 2014 arbeitet sie als Journalistin - für Medien wie taz, „nd“, „Jungle World“, „analyse & kritik“, „Stern“, „Brigitte“ oder Deutschlandfunk.

Fragt man die Leute selbst, begründen sie ihre fixe Idee entweder damit, etwas gegen den „Rechtsruck“ tun zu wollen. Sie meinen, um ein Gegengewicht zu CDU und AfD bilden zu können, müssten SPD und Grüne möglichst viele Sitze haben. Dabei sind diese beiden Parteien doch zu einer Koalition unter Merz bereit! Ob der Juniorpartner ein paar Sitze mehr oder weniger hat, wird da keinen großen Unterschied machen. Zudem haben Grüne und SPD in der Ampel nicht einmal gegenüber der kleineren FDP mit Durchsetzungsfähigkeit geglänzt.

Wirksamer gegen rechte Politik wäre eine linke Kraft, die SPD und Grüne an ihre Wahlprogramme erinnert – etwa Mindestlohn von 15 Euro, Pflegegeld und Erleichterungen für Alleinerziehende. Damit solche Punkte umgesetzt werden, braucht es Druck von links. Grüne und SPD müssen abgehalten werden, sich weiter rechten Diskursen zu unterwerfen, so wie der Kanzlerkandidat der Grünen Robert Habeck es tut, wenn er Sy­re­r:in­nen ausweisen will, die nicht arbeiten, sobald ihr Land sicher sei.

Und unabhängig von Inhalten: Gerade in Zeiten des „Rechtsrucks“ braucht ein Parlament eine demokratische Opposition. Der Bundestag sollte den tatsächlichen Wählerwillen widerspiegeln, sonst ist bald gar niemand mehr zufrieden und die Demokratie wird immer unbeliebter. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass es bei der Linkspartei Probleme gibt. Während sie im Wahlkampf geschlossen auftritt und Soziales in den Mittelpunkt stellt, täuscht das nicht über die ungelösten Konflikte hinweg. Viel zu lange duldete die Partei in ihren Reihen Anti-Israel-Aktivisten wie Ramsis Kilani, der das Massaker vom 7. Oktober verteidigte. Politische Richtungsstreite sind auch mit dem Weggang von Sahra Wagenknecht mitnichten verschwunden. Die Linke hat keine Lösung für die Kriege in dieser Welt. Aber die hat auch keine der anderen Parteien. Einige Linke wählen die Partei nicht (mehr), weil sie Waffenlieferungen kritisch sieht. Dabei sollte man bedenken: Das von Putin überfallene Land wird keine Patrone weniger kriegen, wenn Die Linke weiter im Bundestag sitzt. Sehr wohl aber würde man weiterhin erfahren, wie viele Patronen deutsche Neonazis horten. Denn diese Art von Kleinen Anfragen stellt die Linkspartei. An­ti­fa­schis­t:in­nen wissen deshalb diese Arbeit von Abgeordneten wie Martina Renner oder Clara Bünger zu schätzen. Ein anderes Beispiel: Es war der Linkenchef Jan van Aken, der im Interesse der gesamten Öffentlichkeit die Geheim-Dokumente zum Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP geleaked hat.

Zu hören ist in dieser Debatte auch die Sorge, Stimmen an die Linke könnten verschenkt sein, falls diese den Einzug in den Bundestag nicht schaffe. Aber wenn Linke jetzt eine andere Partei wählen, hat diese nur eine Stimme mehr. Wenn die Linke genau wegen dieser einen nicht einzieht, gehen indes Millionen Stimmen verloren.

Grüne und SPD müssen davon abgehalten werden, sich weiter rechten Diskursen zu unterwerfen

Es ist knapp, aber es gibt eine Chance, dass Die Linke es schafft. Entweder, weil sie über die 5-Prozent-Hürde klettert oder durch Direktmandate, die Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Sören Pellmann – wie in der Vergangenheit auch – erringen. Der Parteitag hat Zuversicht ausgestrahlt. Nach der kämpferischen Rede der Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek im Bundestag erwägen nun sogar einige An­hän­ge­r:in­nen von Grünen und SPD, ihr Kreuz bei der Linken zu setzen. Die Partei könnte den Einzug in den Bundestag also schaffen. Vor allem, wenn ihre An­hän­ge­r:in­nen sie auch wählen.

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