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debatteGegen den Strom

Einseitige Positionierung im Nahostkonflikt ist zu einfach und einer Lösung wenig dienlich. Heilsamer ist, gemeinsam Wut und Trauer zu konfrontieren

Der Rauch hat sich verzogen, und langsam finden unsere Gemeinschaften – die jüdische und die muslimische in Amsterdam – wieder zueinander. Es passiert in kleinem Rahmen. Aber es funktioniert.

Noch immer sitzt uns der Schreck in den Knochen. „Wir gehen auf Judenjagd, Judenjagd“. Niederländische Jugendliche mit marokkanischem Migrationshintergrund stellen israelische Fußballfans in den Straßen der Amsterdamer Innenstadt. Wer einen israelischen Pass hat, wird angepöbelt. Das Wort „Pogrom“ fällt. Dies sind die ersten Berichte.

Jeder scheint sofort zu wissen, was hier vor sich geht. Die „Marokkaner“ sind die Schuldigen. Die Anhänger des israelischen Fußballvereins Maccabi Tel Aviv sind die Opfer. Die rechtsgerichtete Regierung von Ministerpräsident Dick Schoof spricht sofort von „unverfälschtem Antisemitismus durch Muslime“. Allen Migranten, die mit doppelter Staatsangehörigkeit an diesen Ausschreitungen beteiligt waren, soll die niederländische Staatsangehörigkeit entzogen und sie sollen in ihr Herkunftsland abgeschoben werden. Es ist ein gefundenes Fressen für die Regierung, die die Gelegenheit am Schopf packt und jetzt ein umfangreiches Maßnahmenpaket ankündigt, um den Antisemitismus ein für alle Mal zu bekämpfen.

Die Israelis suchen in dieser Nacht Hilfe bei der örtlichen jüdischen Gemeinde und unternehmen Anstrengungen, um so schnell wie möglich nach Hause zurückzukehren. In der Zwischenzeit stellt die israelische Regierung sofort Flugzeuge mit militärischer und medizinischer Hilfe bereit, um die Fußballfans zu unterstützen. So viel zu den ersten paar Stunden.

Erst als sich der Rauch des schweren Feuerwerks verzieht, das bei diesen Auseinandersetzungen gezündet wurde, wird klarer, was sich wirklich ereignet hat. Man hätte es kommen sehen müssen. Seit dem dramatischen 7. Oktober 2023 und dem Ausbruch von Israels Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen sind die im Allgemeinen guten Beziehungen zwischen der jüdischen Gemeinschaft und den Gemeinschaften mit jüngerem Migrationshintergrund in den Niederlanden erheblich unter Druck geraten. Solidaritätsbekundungen mit Gaza und den Palästinensern richteten sich nicht nur gegen Israel selbst, sondern auch gegen Juden. Der Judenhass wurde deutlich sichtbarer.

Schon bei der offiziellen Eröffnung des Nationalen Holocaust-Museums in Amsterdam Anfang des Jahres kam es in unmittelbarer Nähe zu Demonstrationen mit grimmigem antijüdischen Charakter. All dies wiederholte sich während der Massenproteste von Studenten an der Universität in Amsterdam, wo jüdische und israelische Studenten belagert wurden und Zerstörungen im Wert von Millionen Euro angerichtet wurden. Der Ton in den Niederlanden für die neuen Beziehungen während des Gaza-Krieges war gesetzt.

Und dann kommen die Fans dieses israelischen Fußballclubs in die Hauptstadt. Unter diesen Anhängern befinden sich viele Hooligans, die ebenfalls seit Jahren Teil der Fußballszene sind. Sie kommen aus der ganzen Welt. Die Hooligans ziehen auf für sie typische Art lauthals in die Stadt ein.

Lody van de Kamp war Rabbiner in London, Den Haag und Amsterdam. Er ist Mitglied der politischen Partei CDA, Mitglied des Bezirksrats von Amsterdam und Kandidat für das Amt des Abgeordneten. Im Rahmen der Stiftung Said & Lody setzt er sich für die gegenseitige Solidarität zwischen Muslimen und Juden ein.

In dem zerbrechlichen Verhältnis zwischen Niederländern und Israelis in dieser Zeit des Krieges, zwischen jungen Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund und Juden, ist es schicksalsergeben, die israelischen Fußball-Hooligans mit ihrer eigenen Kultur loszulassen. Es konnte nur böse enden. Letztendlich sind auch die Fans von Maccabi Tel Aviv keine Engel. Sie tobten mit ihren unsäglichen Rufen: „Tod den Arabern. Tod den Palästinensern“ durch Amsterdam und rissen palästinensische Flaggen herunter. Ein Taxifahrer wurde verletzt. Mit Fußball hatte diese Randale wenig zu tun.

Inzwischen ist das Wort „Pogrom“ zum Glück wieder aus dem Vokabular rund um diese Ausschreitungen verschwunden. Selbst Amsterdams Bürgermeisterin Femke Halsema betrachtet es im fraglichen Zusammenhang doch als verfehlt.

Auch Ministerpräsident Schoof schwächte seine Vorwürfe gegenüber Muslimen und Marokkanern etwas ab. Er habe „natürlich nicht die Guten unter ihnen“ gemeint. Der Schaden war aber längst passiert. Seine Regierung hat dem Streitthema Integration von „Ausländern“ einen weiteren kräftigen Schub verpasst, die niederländische Bürger mit einem Migrationshintergrund von mehreren Generationen sitzen auf der Anklagebank. Diese Bösewichte.

Es muss viel passieren in unserem Zusammenleben. Und es wird getan. Die Gemeinschaften selbst, die jüdische und die muslimische, die marokkanische, die türkische und andere, unternehmen Schritte, um das gegenseitige Vertrauen wiederzugewinnen. Es braucht Zeit, aber es wird wieder gelingen.

Wir Gemeinschaften müssen es jetzt allein schaffen. Das geschieht bereits jetzt in Synagogen und Moscheen, in Schulen, in Unternehmen. Wir müssen uns zusammensetzen im Lehrerkollegium, nicht aufgeteilt in die Gruppe, die für Israel oder gegen Israel ist, für die Palästinenser oder gegen sie. Wir müssen miteinander reden. Den Krieg dort drüben, den können wir hier nicht lösen. Aber wir haben alle eine gemeinsame Erfahrung. Das ist das Erleben von Schmerz, Traurigkeit, Wut und Angst. Gefühle, die über die Grenzen des Konflikts hinausgehen. Es gibt nur Verlierer, egal auf welchen Aspekt des Krieges wir blicken. In unseren Gesprächen wird das immer klarer. Das gegenseitige Schweigen von gestern weicht den Tränen. Das gegenseitige Ignorieren der letzten Woche endet in einer emotionalen Umarmung.

Es ist ein gefundenes Fressen für die rechte Regierung, die jetzt ein umfangreiches Maßnahmenpaket ankündigt

Nur eine Gruppe steht weit außerhalb dieser wiedergewonnenen Freundschaft. Das ist unsere eigene rechtsextreme Regierung. Sie hat erneut gezeigt, dass sie ihre rassistischen Ideologien über ihre eigenen Bürger stellt.

Aus dem Holländischen mit DeepL

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