daumenkino: Vatel
Obelix rührt um
In Frankreich verkörpert er eine Art Nibelungen-Mythos auf dem Gebiet der Kochkunst: François Vatel, Leibkoch und maitre du plaisir des Prinzen von Condé, brachte sich 1670 kurz vor einem Bankett zu Ehren von Ludwig dem XIV. um – angeblich weil eine Lieferung mit ausgesuchten Edelfischen seine Küche nicht mehr rechtzeitig erreichte.
Die egomanisch verbrutzelte und überzüchtete Fraktion der französischen Küchenstars gründet ihre Genealogie und ihr Selbstverständnis immer noch auf die Savarins und Vatels, die aus dem Reisrand eine Philosophie und das Kochen zur achten Kunst machten, die beharrlich ihre eigene Vergänglichkeit zelebriert. Wenn man sich dann noch vorstellt, was ein dreitägiger Besuch des notorisch unterhaltungsbedürftigen Ludwig samt Maitressen und gefräßigem Hofstaat für ein mittelgroßes französisches Provinzschloss bedeutet haben mag, dann wäre das eigentlich genügend Stoff für einen netten Kostümfilm.
Wäre da nicht Gérard Depardieu, der den legendären Superkoch mit einer Mischung aus fettleibiger Selbstgefälligkeit, erdverbundener Attitüde und penetrantem Genießergeschnupper spielt. Irgendwie ist man permanent darauf gefasst, dass er gleich einen Hinkelstein durch die historischen Kulissen schleppt. Hin und wieder schnuppert er auch an Uma Thurman, die allerdings schon von einem übel dreinblickenden Tim Roth in Intrigen versponnen und außerdem dem Sonnenkönig versprochen wurde.
Wirklich schade ist es in „Vatel“ vor allem um die Arbeit des Ausstatters Jean Rabasse, der die Gelage zu Ehren des Königs mit detailbesessener Opulenz bis auf die letzte kleine Zuckerkirsche nachgestellt hat. Sein Regisseur Roland Joffé interessiert sich allerdings nicht die Bohne für die schöne Pracht. Wer einen Film über einen Menschen dreht, der sich wegen einer Ladung Fressalien das Leben nimmt, sollte sich schon ein bisschen überlegen, wie er diese Fressalien in Szene setzt – abgesehen von Kamerafahrten, in denen die Küche wie ein U-Bahn-Schacht aussieht. In „Vatel“ gibt es schlichtweg keine filmische Form für die Obst-, Wild-, Gemüse- und Patisseriekreationen, die sich in den Untergeschossen des Schlosses von Condé türmen. Immerhin sind es die Kreationen dieser Küche, von der in „Vatel“ die Gunst des Königs, das Schicksal des Hauses Condé, die Zukunft Frankreichs, Europas, wenn nicht der ganzen Welt abhängt.
KATJA NICODEMUS
„Vatel“. Regie: Roland Joffé. Mit Gérard Depardieu, Uma Thurman, Tim Roth u. a. Frankreich 2000, 100 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen