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Filmemacherin Maryam Ebrahimi berichtet über die Situation im Iran. Und wie sie es schafft, die Lage in ihrer Heimat zu dokumentieren
Interview Nele Beste
taz: Was bedeutet Freiheit für Sie, Frau Ebrahimi?
Maryam Ebrahimi: Freiheit ist das schönste Wort, das ich kenne, obwohl ich sie ja zeit meines Lebens nie wirklich erfahren habe: Ich bin kurz nach der islamischen Revolution in Iran aufgewachsen. Besonders als Frau habe ich in einer Gesellschaft gelebt, die extrem islamistisch geprägt war. Die Kontrolle weiblicher Körper war tief im Alltag verwurzelt. Auch als ich Iran verlassen habe, konnte ich diese Prägung nie abschütteln. Dieses Gefühl verfolgt mich bis heute.
taz: Seit drei Jahren finden massive Proteste in Iran statt. Was hat sich seitdem verändert?
Ebrahimi: Auch vorher gab es schon einige Proteste. Mit dem Tod von Mahsa Amini bildete sich allerdings eine Welle der Solidarität, die so stark war, dass sich viele Menschen und Gruppierungen aus den unterschiedlichsten Richtungen ihr anschlossen – inklusive Personen, die das System vorher unterstützt hatten. Die Autoritäten können uns seitdem nicht mehr so einfach mit der Sittenpolizei verhaften lassen oder Frauen auf der Straße attackieren. Auch wenn sich entsprechende Gesetze noch nicht geändert haben, sind die Menschen selbstbewusster und stärker geworden und beugen sich nicht mehr so einfach.
taz: Wie funktioniert Widerstand in einem unterdrückenden System und welche Rolle kann Kunst dabei einnehmen?
Ebrahimi: Menschen finden immer einen Weg, um sich gegen Normen und Werte zu wehren, die ihnen aufgezwungen werden. Nach der Revolution hat das iranische Kino zwar internationale Aufmerksamkeit erlangt, allerdings galten viele Filme als haram und mussten islamischer Propaganda weichen. Musik wurde ebenfalls verboten, genauso wie die Stimmen iranischer Frauen. Aber vielleicht hat sich gerade deswegen eine beeindruckende Kunstszene im Untergrund entwickelt. Eine Form des Widerstands und eine Botschaft an das System: Wir sind da und werden unter allen Umständen weitermachen.
taz: Haben Sie Angst bei den Dreharbeiten zu Ihren Filmen?
Ebrahimi: Angespannt bin ich immer, wenn ich in Iran filme. Eine Situation ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Damals habe ich für einen Film über den Krieg zwischen Iran und Irak gedreht. Wir haben in einer Region gearbeitet, in der es strengstens verboten war zu filmen. Als Frau wurde ich sowieso direkt verdächtigt, Propaganda gegen den Staat zu verbreiten. Deswegen bin ich im Auto sitzen geblieben und habe von dort aus meinen Kameramann angeleitet. Mit seinem eher konservativen Aussehen konnte er sich dort freier bewegen, während ich ihm jede einzelne Einstellung am Telefon erklärte.
Diskussion „Zwischen Isolation und Hoffnung: Leben in Iran“, 4.12., 19 Uhr, Körber-Forum, Kehrwieder 12, Hamburg. Eine Anmeldung via koerber-stiftung.de ist erforderlich. Die Diskussion wird live gestreamt.
taz: Sie leben in Schweden. Wie nehmen Sie die europäische Sicht auf Ihre Heimat wahr?
Ebrahimi: Die Welt wurde Zeuge des Widerstands der iranischen Menschen. Es ist klar geworden, dass nicht alle Iraner:innen dem Regime blind folgen. Dieses Narrativ einer kleinen mächtigen Elite wurde als Lüge entlarvt.
taz: Was wünschen Sie sich von den Menschen in Europa?
Ebrahimi: Seit 40 Jahren leben die Menschen in Iran unter der Last eines totalitären Systems. Es ist wichtig, dass die Europäer:innen das anerkennen und sich solidarisieren. Besonders in einer Zeit, in der europäische Regierungen weiterhin mit der Islamischen Republik Politik machen – einem System, das Menschen exekutiert, foltert und mundtot macht.
taz: Was lässt Sie trotzdem hoffen?
Ebrahimi: Ich habe das Gefühl, dass wir kurz davor sind, einen echten Wandel in der iranischen Gesellschaft zu erleben. Viele Menschen haben in den vergangenen Jahren im Protest ihr Leben verloren. Trotzdem sehen wir, dass Bewegungen, Frauen, Studierende und Arbeiter:innen stärker geworden sind. Die kollektive Widerstandsbewegung ist heute weitaus mächtiger als noch vor zehn Jahren. Ich hoffe auf eine Transformation des Systems, die den Menschen mit all ihren Rechten zugutekommt.
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