das wird: „Frantz Fanon war überzeugt von universalistischen antifaschistischen Prinzipien“
Der Vordenker im Kampf gegen Kolonialismus ist heute noch aktuell, findet Vanessa E. Thompson
Interview Wilfried Hippen
taz: Vanessa E. Thompson, warum sind die Schriften von Frantz Fanon heute noch aktuell?
Vanessa E. Thompson: Frantz Fanon war antikolonialer Revolutionär, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Er hinterlässt ein beachtliches Werk, das von seinen theoretischen Analysen und der Kritik des kolonialen Rassismus und dem kolonialen System geprägt ist. Dabei bleibt vor allem Fanons Analyse und Kritik des Rassismus als gesellschaftlichem Verhältnis, seine Zurückweisung von identitärem Antirassismus und sein Festhalten an einem radikalen und universalen Antirassismus aktuell. Aber auch seine Kritik an struktureller Gewalt bleibt aktuell: Ob es heute um die Rebellionen und Revolten migrantischer Jugendlicher in den armen Vorstädten von Paris, London oder Amsterdam, die Auseinandersetzungen in Berliner Schwimmbädern oder um Gefängnisaufstände geht – mit Fanon lässt sich verstehen, dass diese Ereignisse immer schon auf eine tieferliegende und vorhergehende strukturelle Gewalt reagieren.
taz: Können Fanons Ideen zu Themen wie den Wahlsiegen von ultrarechten Parteien in Europa oder der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump neue Impulse geben?
Gespräch „Mit Vanessa E. Thompson über Fanon sprechen“, Donnerstag, 4. 9., Markk Hamburg, Rothenbaumchaussee 64,Eintritt: 5 Euro
Thompson: Für Fanon ist der europäische Faschismus eine Weiterentwicklung des Kolonialrassismus. Damit werden auch die ideologischen Verbindungen zwischen Liberalismus und Faschismus deutlich, auch wenn sie natürlich nicht einfach gleichzusetzen sind. Prozesse und Tendenzen der gegenwärtigen Faschisierung lassen sich nicht einfach auf ultrarechte Parteien oder Trumpismus reduzieren, sie sind im System des Kapitalismus und der Vertiefung und Intensivierung bestehender Herrschaftsverhältnisse selbst angelegt. Das zeigt sich etwa an der Migrations- und Grenzpolitik, die nicht erst seit dem Erstarken rechter Parteien als staatlich organisierte Politik der Massentötung beschrieben werden sollte. Auch die systematische Kriminalisierung von Armut wird nicht nur von der Rechten angetrieben, sondern ist seit Jahrzehnten Bestandteil neoliberaler Politik. Fanons und weitere antikoloniale, antifaschistische Analysen können helfen, das Verhältnis von liberalem Normalzustand und vermeintlicher faschistischer Ausnahme zu korrigieren und einen universalistischen Antifaschismus zu mobilisieren.
taz: Fanon meldete sich 1944 freiwillig, um gegen die Nazis zu kämpfen. Wie hat dies sein Denken geprägt?
Thompson: Er kämpfte bereits als Jugendlicher als Soldat aus Martinique in den Reihen der „Freien Französischen Armee“ gegen Nazi-Deutschland. Fanon war überzeugt von universalistischen, antifaschistischen Prinzipien. Nachdem er 1944 bei den Streitkräften in Marokko angekommen war, zeigte er sich jedoch zunehmend erschüttert ob des Kolonialrassismus und der rassistischen Hierarchisierung der Soldaten innerhalb der französischen Truppen. Ich denke, diese Erfahrung war grundlegend für seine radikale Kritik an einem partikularen Universalismus und sein Einstehen für einen radikalen Universalismus.
taz: Fanon hat in „Die Verdammten dieser Erde“ von der emanzipatorischen Kraft der Gewalt geschrieben. Wie verstehen Sie dies im Zusammenhang mit dem antifaschistischen Kampf?
Thompson: Wenn Fanon schreibt, dass Dekolonisierung immer ein gewaltvoller Prozess ist, dann bezieht er sich vor allem darauf, dass die Abschaffung der kolonialen und kapitalistischen Verhältnisse natürlich auch Gegengewalt beinhaltet – dies ist keine Romantisierung von Gewalt. Zugleich weist er Gewalt als Selbstzweck vehement zurück. Daran anschließend verstehe ich aktuelle antifaschistische Kämpfe, ob gegen die Einwanderungsbehörde ICE in Los Angeles oder an den Außengrenzen Europas, in erster Linie als Form der Selbstverteidigung. Es geht da um die Rettung von Menschenleben und den Kampf für eine bessere Welt für uns alle.
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