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das wird„Gewalt fängt immer da an, wo das Bauchgefühl komisch wird“

Gewalt gegen Frauen nimmt zu. App-Erfinderin Stefanie Knaab spricht über ihre eigene Erfahrung – und darüber, welche Lösung sie entwickelt hat, um zu helfen

Interview Nina Spannuth

taz: Frau Knaab, wo fängt Gewalt in der Beziehung an?

Stefanie Knaab: Mit Kontrolle. Physische Gewalt ist nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt auch psychische, soziale oder wirtschaftliche Gewalt, wenn mein Partner zum Beispiel mein Geld kontrolliert. Und sexuelle und digitale Gewalt. Gewalt fängt immer da an, wo das Bauchgefühl komisch wird, und Dinge passieren, die ich nicht will.

taz: Was sagen Sie Personen, die meinen, die Frau könne doch ihren Partner verlassen?

Knaab: Ich stelle die Rückfrage: Wissen Sie wie viele Frauen getötet werden, wenn sie sich trennen? Die meisten Femizide passieren nach Trennungen. Warum muss die Betroffene etwas tun und nicht die Person, die die Gewalt ausübt? Es muss eher gefragt werden, warum wir in einer Gesellschaft leben, in der Männer schlagen.

taz: Häusliche Gewalt gegen Frauen nimmt zu. Warum?

Knaab: Wir haben ein Bild in unserer Gesellschaft, das nicht sehr frauenfreundlich ist. Gewalttätiges Verhalten wird auch medial verharmlost. Im Film „Fifty shades of grey“ zum Beispiel wird Kontrolle romantisiert. Wir leben in Verhältnissen, die nicht gleichberechtigt sind. Zum Beispiel sind mehr Frauen von Altersarmut betroffen als Männer. Das ist ein strukturelles Problem.

DiskussionFemale Futures: Gewalt in der Beziehung, mit Stefanie Knaab, der Journalistin Teresa Bücker der Soziologin Julia Habermann und der Anwältin Christina Clemm; Mittwoch, 22. 1., 19 Uhr, Körber-Forum

Kehrwieder 12, Hamburg

taz: Sie haben eine App entwickelt, die gewaltbetroffene Frauen unterstützt – woher kam die Idee?

Knaab: Ich war vier Jahre in einer gewalttätigen Beziehung. Meine Therapeutin hat mir damals empfohlen, dass ich mir Briefe schreibe, in denen ich die Gewalt beschreibe. Ich konnte sie in guten Situationen lesen und die Gewalt­spirale dahinter erkennen – mein Ex-Partner hat immer gesagt: „So war das gar nicht.“ Durch diese Briefe habe ich mich getrennt. Danach habe ich mich mit häuslicher Gewalt beschäftigt und gesehen, wie schwer es ist, den rechtlichen Weg zu gehen – was die Beweisbarkeit betrifft und die Schwierigkeit, an Informationen zu kommen.

taz: Da setzt die App an?

Knaab:Sie informiert, der Schwerpunkt ist aber das Gewalttagebuch, in dem die Betroffene die Gewalt dokumentieren kann. Vor Gericht sind die Fotos und Einträge verwertbar. Es ist aber keine App zur Strafverfolgung, sondern zur Selbstreflektion. Die Betroffene kann irgendwann realisieren: Das ist der zehnte Eintrag.

taz: Frauen können sich Hilfe durch die App holen – aber letztlich war und bleibt der Mann vermutlich gewalttätig. Wie kann sich das ändern?

Foto: Natalia Bronnya

Stefanie Knaab Jahrgang 1990 (34 Jahre alt), ist Gründerin und Geschäftsführerin des Berliner Vereins „Gewaltfrei in die Zukunft e.V.“, der Betroffene von häuslicher Gewalt unterstützt.

Knaab: Weil gewaltausübende Personen keine Einsicht haben, brauchen wir einen Staat, der Frauen unterstützt und schützt. Zuerst müssen wir langfristig in die Prävention investieren und Kindern und Jugendlichen durch geschlechtersensible Bildungsprogramme den gesunden Umgang mit Gefühlen beibringen. Oft sind gewaltausübende Männer solche, die keine Kontrolle über oder Zugang zu ihren Emotionen haben. Dieses Verhalten wird durch eine Gesellschaft, die Gewalt akzeptiert, verstärkt. Wir brauchen auch mehr Männer, die anderen verhaltensauffälligen Männern sagen: „Tickst du eigentlich ganz sauber?“ Gewalt fängt bei Kommentaren oder sexistischen Witzen an. Wir brauchen dringend einen Staat, der das Thema priorisiert, indem er die Istanbul-Konvention umsetzt, bezahlbaren Wohnraum schafft und die strukturelle Ungleichheit nachhaltig bekämpft.

taz: Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft?

Knaab:Jede vierte Frau ist von Partnerschaftsgewalt betroffen – und das ist nur körperliche Gewalt. Wir al le haben eine Mutter oder Freundin – und wenn man sich das mal vorstellt: Das sind Dimensionen, da bin ich sprachlos. Mein Appell an die Gesellschaft: Hört hin, geht auf die Straße, streitet darüber. Frauenrechte sind Menschenrechte, die müssen wir uns erkämpfen – das können wir nicht allein.

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