das wird: Gebaute Demokratie
Eine neue Plakette kennzeichnet das Bremer Haus der Bürgerschaft als „Ort der Demokratiegeschichte“
Anbringung der Plakette „Orte der Demokratiegeschichte“ durch Bürgerschaftspräsident Frank Imhoff: heute, 11 Uhr, Bremen, Skulpturengarten am Haus der Bürgerschaft
Von Bettina Maria Brosowsky
„Ort der Demokratiegeschichte“: Diese „Kenntlichmachung“, so die offizielle Diktion der gleichnamigen Arbeitsgemeinschaft bei der Gesellschaft zur Erforschung der Demokratiegeschichte (GEDG) mit Sitz in Weimar, erhält am heutigen Tag die Bremische Bürgerschaft. Eine Plakette wird künftig ihre Zugehörigkeit zu einem illustren Kreis von Institutionen und Protagonist:innen dokumentieren. Er umfasst demokratiehistorisch so fundamentale Stätten wie die Frankfurter Paulskirche oder die Erinnerung an sieben aufmüpfige Göttinger Professoren, aber auch den Gasthof Tivoli in Gotha – hier gründete sich 1875 die Vorläuferorganisation der heutigen SPD –, bis zum Helmut Schmidt-Forum am Hamburger Pressehaus der Zeit.
Das Haus der Bremer Bürgerschaft ist über seine Funktion als Sitz der gewählten Vertretung des Stadtstaates hinaus selbst ein architekturgeschichtliches Exempel praktizierter Demokratie. Der 1966 eingeweihte Neubau besetzt den Ort des vorherigen Landesparlaments, das bis zu deren Kriegszerstörung, 1943, in der Neuen Börse tagte – die ortstypische Verquickung somit von hanseatischem Handel und früher demokratischer Selbstorganisation. Dem neuen Haus der Bürgerschaft gingen langjährige Überlegungen und ein nicht minder langjähriges Wettbewerbsverfahren voraus. Der Berliner Architekt Wassili Luckhardt (1889–1972) konnte sich 1961, nach einer Überarbeitungsphase seines 1959 prämierten Beitrags, mit einer, nun ja, nicht gerade radikal modernen Haltung durchsetzen. Denn eigentlich stand sein Büro – bis zum Tode seines jüngeren Bruders 1954 mit diesem gemeinsam, in den Anfangsjahren bis 1933 zudem mit einem berufserfahrenen, jüdischen Partner betrieben – für eine klassische, heroisch-luxuriöse Moderne der Zwischenkriegsjahre, bis heute etwa im Landhaus Rupenhorn im Berliner Westen zu bewundern.
Gleichwohl polarisierte selbst dieser moderate Entwurf Luckhardts. Lokale Traditionalisten hätten den prominenten Baugrund vis à vis zum historischen Rathaus gern mit rekonstruierten Altstadtfassaden geschlossen gesehen. Während Modernisten die wie parzelliert wirkende Glasfassade zum Marktplatz und besonders die gefaltete Gesimslinie, fast ja Paraphrasen solch einer Altstadtkulisse, schon zu viel der Konzessionen war. „Wassili hat nun wohl das Häkeln gelernt“, spöttelte gar Hamburgs Baudirektor Werner Hebebrandt, Juror im entscheidenden Wettbewerb. So blieb es das Verdienst des damaligen Bürgerschaftspräsidenten, August Hagendorn, diesen Bau mit gebotenem Fingerspitzengefühl und künstlerischen Zutaten wie den figürlichen Fassadenreliefs von Bernhard Heiliger letztendlich durchzusetzen.
Im Gegensatz zur großen hanseatischen Schwester Hamburg leistet sich Bremen die konsequente Trennung von Kommune – Rathaus – und Bundesland – Haus der Bürgerschaft. Dessen räumliches Glanzstück ist aber nicht sein Plenar- sondern der überhohe Festsaal mit der Glasfront zum Marktplatz. Wer jemals das Glück hatte, hier „performen“ zu dürfen, weiß um die verschwenderische Großzügigkeit dieses Ortes: wie freigesetzt in die gute Stube der Stadt, eine moderne Agora als gebaute Demokratie.
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