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das portraitCyntoia Brown, die 30-Jährige, die nach 15 Jahren Haft freikommt

Foto: Lacy Atkins/ap

Die meisten Rechtsstaaten würden eine 16-Jährige, die vergewaltigt, geschlagen und zur Prostitution gezwungen wurde und die einen fast dreimal so alten „Kunden“, von dem sie sich bedroht fühlt, erschossen hat, auch als ein Opfer betrachten. In jedem Fall würden sie nicht das Strafrecht für Erwachsene gegen sie anwenden. Nicht so die Justiz in Tennessee, USA. Dort wurde Cyntoia Brown, deren leibliche Mutter Alkoholikerin war und die schon als Kind unter zahlreichen psychischen Krankheiten litt und aus dem Haus ihrer Adoptiveltern in die Arme eines gewalttätigen Drogendealers floh, von einem Schwurgericht zu 60 Jahren Gefängnis verurteilt. Und dort entschied im Dezember das Oberste Gericht, dass eine Begnadigung für Brown frühestens nach 51 Jahren hinter Gittern erwogen werden könnte. Dann wäre sie 67.

Am Montag hat der scheidende Gouverneur von Tennessee, Bill Haslam, diese Barbarei korrigiert. Nach einer jahrelangen Kampagne für #FreeCyntoiaBrown verkürzte er ihre Strafe auf 15 Jahre Gefängnis, gefolgt von zehn Jahren Bewährung. Am 7. August – exakt 15 Jahre nach ihrer Verhaftung – darf die dann 31-Jährige das Frauengefängnis von Nashville verlassen.

„Hallelujah“, jubelte die afroamerikanische Demokratin Brenda Gilmore, die sich unter anderem mit Gebeten in schwarzen Kirchen für Brown eingesetzt hat. Brown selbst dankte dem Gouverneur überschwänglich für seine „Barmherzigkeit“ und versprach: „Mit Gottes Hilfe werde ich den Rest meines Lebens darauf verwenden, anderen zu helfen.“ Tennessee liegt im Bibel-Gürtel der USA.

Brown hat nie bestritten, dass sie am 6. August 2004 den Makler Johnny Mitchell Allen in seinem Bett getötet hat. Der 43-Jährige hatte die Jugendliche mit zu sich nach Hause genommen, ihr seine Waffensammlung gezeigt und von seiner Erfahrung als Scharfschütze in der Armee geprahlt. Brown beschreibt, dass sie Angst um ihr Leben hatte, als er sie brutal anfasste und unter sein Bett griff, wo sie eine Waffe vermutete. Daraufhin zog sie eine Pistole, die ihr Zuhälter mit dem Spitznamen „Kut Throat“ ihr gegeben hatte, und erschoss den Mann. Aber weil sie anschließend mit 172 Dollar, Schusswaffen und dem Auto des Mannes floh, wertete das Gericht ihre Tat als vorsätzlichen Raubmord.

Brown hatte noch kindlich runde Gesichtszüge, als sie bei einem Verhör gefragt wurde, warum sie nicht vor dem Dealer geflohen sei, der sie zur Prostitution zwang: „Sie hören nicht zu. Ich habe ihm Geld gemacht. Er hat mich gewürgt, bis ich fast das Bewusstsein verlor. Ich wusste, dass er keine Probleme gehabt hätte, mich umzubringen.“

Bis zu ihrer Freilassung wird Brown das Studium beenden, das sie im Gefängnis begonnen hat, und Wiedereingliederungskurse besuchen. Danach will sie sich für eine Strafjustizreform engagieren. Haslam, der Gouverneur, der wenige Tage vor dem Ende seiner Amtszeit endlich den politischen Mut zu Begnadigung aufbrachte, wird jetzt wegen seiner Gnade und Weitsicht gefeiert. Dorothea Hahn, New York

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