das lieblingsstück (III): Ein Universum wird geboren
Das Beste zum Ende des Kulturjahres im Norden: Daan Roosegaardes berührende Rauminstallation „Touch“ in Mettingen bei Osnabrück
Es ist nicht gerade der Nabel der Welt. Mit ihren rund 12.000 Einwohnern liegt die kleine Landgemeinde Mettingen zwischen Wald und Moor, eine Viertelstunde vom niedersächsischen Osnabrück entfernt. Aber da ist dieses Raumschiff, 2009 gelandet, weiß und gläsern: Das Kunstmuseum „Draiflessen Collection“, gegründet von der milliardenschweren UnternehmerInnenfamilie Brenninkmeijer, zu deren Imperium etwa die 1.300 Modehäuser von C&A gehören. Seither steht die Mettinger Provinz auch bei Menschen auf dem Reiseplan, die Kultur normalerweise nur mit Metropolen verbinden.
Bis Ende Februar ließ sich in diesem Raumschiff dann auch Kosmisches erleben, Intergalaktisches, ein meditativ Gedanken weckendes, magisches Sternenmeer: Wer die Rauminstallation „Touch“ betrat, eine gewaltige Halle schwarzer Leere, wurde zum Mittelpunkt eines Universums. Allerdings nicht ohne eigenes Zutun, nein, Interaktion war gefordert. Und keine Weltengeburt ohne die Bereitschaft, sich auf Nähe einzulassen. War man nicht zu zweit, mindestens, blieb die Arbeit des niederländischen Experimentalkünstlers Daan Roosegaarde nämlich eine schwarze Leere.
In der Mitte der Schwärze, wie eine Lockung, wie eine Herausforderung, wartet da ein blau schimmernder Lichtfleck auf dich. Leicht, fast unmerklich, steigt der Boden an, je näher du ihm kommst. Du betrittst das Blau. Deine Begleitung betritt es mit dir. Ihr wartet. Nichts geschieht. Erst eine Berührung setzt das Wunder frei. Ein Händedruck, ein Streicheln, eine Umarmung, ein Kuss. Ungewohnt, nach den Abstandsgeboten von Covid-19.
Eure Unsicherheit bleibt. Aber eure Neugier wächst. Eine Berührung also? Eine Berührung! Lichtpunkte blitzen auf, Himmelskörpern gleich, Tausende, wie in einer Explosion. Die Punkte beginnen zu tanzen, zu gleiten, zu wirbeln, um euch herum, groß und klein, langsam und schnell. Ihr seid die Mitte eines neuen, vielleicht besseren Daseins. Es fällt schwer, einander nicht loszulassen dabei. Tut ihr es, ist die Magie vorbei. Die Sterne erlöschen. Der Ausgang, weit weg, vorher Schwärze in der Schwärze, wird sichtbar. Ihr macht Platz für die nächsten Erschaffer des nächsten Alls.
Roosegaardes technoid-spiritueller Laser-Kosmos, eigens für Mettingen entstanden, war eine Zukunftsermutigung, ein Innehalten in Hoffnungshelle. Er half zu erkennen: Erst das Miteinander, das vertrauensvolle Sichöffnen für das Gegenüber, setzt Energie und Schaffenskraft frei, Vereinzelung ist Stillstand. Er half zu erkennen: Der Mensch, allzu oft ein Zerstörer, ein Weltenplünderer, trägt auch Schöpferkraft in sich, für das Schöne.
Gewiss, der Zauberbann wäre ohne Sensor-Elektronik nicht denkbar gewesen. Aber das technische Wie war nicht wichtig. Wichtig war: „Touch“ als Blick weit hinaus in die Wandlungsfähigkeit unserer Welt, tief hinein in die Sehnsüchte unserer Seele, war ein Zeichen der Zuversicht, eine Reise in die Fantasie.
„Touch“ war eine Schau ohne Worte, aber von umso größerer Eindringlichkeit. Roosegaarde, ein Agitator der Nachhaltigkeit, pädagogisiert nicht, aber er öffnet Augen. Sicher, auch ein Blick ins echte Weltall war im „Touch“-Rahmen möglich, ebenso der aus dem Weltall auf die Erde, mit den Augen von Astronauten. Sicher, wer wollte, konnte im „Blauen Raum“ seine Gedanken verbalisieren, mitgestalten an einem Universum appellativer Botschaften für mehr Achtsamkeit. Alles gut und richtig – aber im Grunde gar nicht nötig. Der Sternensturm war Erlebnis genug. Er hätte in jeder Metropole für Aufsehen gesorgt. Harff-Peter Schönherr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen