das grüne experiment: Moral oder Mehrheiten?
Sibyll Klotz, designierte Spitzenkandidatin der Grünen, hat es nicht leicht: Sie muss Erfolg haben. Denn mit ihrer Kandidatur wird auch ein alter Linienstreit innerhalb der Grünen neu ausgefochten. Mitglieder der Bundespartei hätten unverhohlen lieber andere Bewerber an der Spitze gesehen. Mit der Kandidatur von Klotz hat sich nun der linke Landesverband durchgesetzt.
Kommentarvon ANDREAS SPANNBAUER
Das Rezept lautet Sachkompetenz statt Strahlemannqualitäten, offensives Formulieren der eigenen Positionen statt Suche nach frei flottierenden Wählerpotenzialen. Nichts verdeutlicht das besser als die Ankündigung der Bewerberin, das Thema soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt des Wahlkampfs zu stellen. Gerechtigkeit ist immer gut. Aber ist sie auch grün? Die SPD, vor allem aber die PDS, wird den Grünen das Gebiet streitig machen, auch wenn Klotz gerade dieses Anliegen glaubwürdig verkörpert. Die Chance, sich mit einem Fundamental-Realpolitiker wie dem Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir auch personell als Partei der Jugend und des Multikulturalismus zu präsentieren, wurde mit der Nominierung der Berlinerin bewusst ausgeschlagen.
Der Landesverband hat sich damit auf Kosten der medialen Wahrnehmung für die eigene politische Moral und für Basisdemokratie entschieden. Das ist – zum einen – richtig: Wer jung ist und gut aussieht, ist deswegen noch lange nicht der Klügere. Die Entscheidung ist – zum anderen – falsch. Wer nur eine Moral hat, braucht keine Mehrheiten – und bekommt vielleicht auch keine. Im Herbst wird sich zeigen, ob sich die Geradlinigkeit der Grünen auszahlt.
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