das ding, das kommt: Gummimilch statt Holzknüppel
Gerade noch die Kurve gekriegt: Da kündigen immerhin 564 Kindergärten und Kitas in Schleswig-Holstein an: „Der Verkehrskasper kommt“ – und dann kommt die „Sympathiefigur“, wie es im Polizeideutsch heißt, gar nicht im Stück vor! Die „Kantsteinhelden“ im gleichnamigen gemeinsamen Stück der drei schleswig-holsteinischen Polizeipuppenbühnen heißen Pauli und Pauli, dazu kommen der trottelige Hase Pit und die freche Piratenmöwe Pia und alle lassen sich die Verkehrsregeln vom Polizisten Kalle beibringen.
Aber bevor es zum großen Tränenkullern gekommen wäre, weil die Abwesenheit der Sympathiefigur beim drei- bis sechsjährigen Publikum verständlicherweise Anlass zu Sorge oder zumindest Irritation gibt, hat das Team der Polizeibühne Oldesloe dem Verkehrskasper mit einem kleinen Trick doch noch zum Auftritt verholfen. Vor dem Stück darf er „Tri-Tra-Trullala“ singen und im Anschluss mit den anderen das Verkehrsgedicht zur richtigen Straßenüberquerung lernen.
Und dass der Kasper fürderhin in Stücken nicht mehr vorkommen wird, auch dafür gibt es eine einfache Erklärung: Der Mann ist 65 Jahre alt und geht verdientermaßen in Rente. Denn so lange gibt es jedenfalls die Polizeibühne Neumünster schon, die den Geburtstag und damit die Verabschiedung des altgedienten Verkehrserziehers dieser Tage mit einer Aufführung von „Die Kantsteinhelden“ vor Schüler*innen und Ehrengästen im Museum Tuch und Technik feiert. Im Museum zeigt die Bühne dazu eine Sammlung alter Puppen, Requisiten, Fotos, Kulissen „und so weiter“ aus 65 Jahren Polizeihandpuppenbühne.
Ausdrücklich ohne erhobenen Zeigefinger komme das gezeigte Stück aus, sei eben „pädagogisch auf der Höhe der Zeit“, so eine Pressemeldung der Polizei. Das ist erfreulich, denn früher ging es doch deutlich rauer zu auf den Verkehrskasperbühnen des Landes. Nicht aus Gummimilch und niedlich waren die Puppen, sondern wie die Compagnie um den berühmten Hohensteiner Kasper aus hartem Holz geschnitzt. Und auch die Stücke waren eher hölzern, sowohl narrativ als auch in der Zuweisung von, sagen wir: Motivlagen.
Dem Kasper gegenüber stand der „Verkehrsteufel“, der all die unfallträchtigen Untaten, vor denen auch heute noch die Bühnen zurecht warnen, aus der Tiefe seines moralisch morschen Holzherzens heraus verübte. Und die „Guten“ gingen auch nicht zimperlich mit dem „Bösen“ um: „Der Polizeikasper und seine Freunde stellen dem Verkehrsteufel ein Bein“ heißt etwa eine Langspielplatte der Hamburger Bühne in der Europa-Reihe „Kasperles lustige Abenteuer“, die die Frage nahelegt, ob das der Rechtssicherheit wirklich dienlich war und nicht eher zur Selbstjustiz anstachelte.
Heute hat man Abstand genommen von derlei drastischen „Bratpfannenlösungen“ zugunsten von „intelligenten wirklichkeitsnahen, die Phantasie der Kinder fordernden Verhaltensformen“, hat eine Staatsexamensarbeit schon anlässlich von 50 Jahren Polizeipuppenbühnen herausgefunden.
Heraus kommen dann Stücke wie „Gib Shit nen Tritt“ der Bremerhavener Polizei. Darin geht es natürlich um Drogen. Der 17-jährige Kevin ist dem Cannabisrauchen verfallen, beklaut die Eltern, vertickt, wird schlecht in der Schule und bekommt am Ende Ärger mit der Polizei. Dabei geht es nicht um Dämonisierung, sondern um die Frage, wie man sich in solchen Fällen helfen kann: Wer sind etwa die richtigen Ansprechpartner? Die Eltern nämlich offenbar nicht. Die im Anschluss an die Aufführungen geplanten Elternabende fanden schnell nicht mehr statt. Kam nämlich niemand. Weil die eigenen Kinder dieses Drogennehmen ja nicht machen – das ist natürlich Kasperkram.
Robert Matthies
65 Jahre Polizei-Handpuppenbühne Neumünster: Di, 19. 11., 10 Uhr, Neumünster, Museum Tuch und Technik
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