das ding, das kommt: Klimperkiste mit Kunstanspruch
Einmal, im April 1953, fragt Charlie Brown seinen Peanuts-Kollegen Schroeder, wie er auf seinem Spielzeugflügel all diese komplizierten Stücke spielen könne – schließlich seien die schwarzen Tasten nur aufgemalt. Schroeders Antwort ist resolut: „Ich übe viel.“ Ein anderes Mal fragt ihn Lucy, ob man mit dem Klimpern auch Geld verdienen könne. Aber es gehe doch nicht um Geld, fährt Schroeder sie an und drischt in die Tasten: „Es ist eine Kunst! Kunst! Kunst! Kunst! Kunst! Kunst!“ Kein Kinderkram also, dieses Kinderklavier, sondern ein ernst zu nehmendes Instrument, mit dem man den lieben langen Tag Beethoven spielt! Erfunden allerdings hatte es der Deutsche Albert Schoenhut Mitte des 19. Jahrhunderts nun mal als Spielzeug – in seinem Kinderzimmer. Und hat es mit der daraus entstandenen Firma sogar zum größten Spielwarenhersteller des Landes geschafft.
Aber der Erste, der das Potenzial des Toy Pianos als ernst zu nehmendes Musikinstrument tatsächlich erkannte und eigens dafür komponierte, war natürlich John Cage. 1948, acht Jahre, nachdem er erstmals die Saiten und Hämmer eines Klaviers mit Radiergummis, Nägeln und anderen Kleinteilen präpariert hatte, schrieb er seine kleine fünfteilige „Suite for Toy Piano“. Was Cage damals vor allem faszinierte, war der harte und emotionslose Klang, der das Toy Piano eher wie ein kleines Gamelan oder eine Kalimba klingen lässt.
Viel Klavier steckt also gar nicht drin in den kleinen Kasten, eigentlich ist es ein Glockenspiel mit Klaviatur. Statt Saiten gibt es einen Tonkamm, sobald eine Taste gedrückt wird, schlägt ein Hammer einen Metallstab. Ob man die Taste dabei lang oder kurz, stark oder sanft drückt, macht keinen Unterschied: Weil es keine Dämpfung gibt, klingt jeder Ton immer gleich. Töne liegen lassen, staccato oder legato: Geht nicht. Und Cage reizte der begrenzte Tonumfang von gerade mal einer Oktave. Seine Suite beginnt sogar mit noch mehr Reduktion: fünf Töne in der Mitte der Klaviatur, dazu gesellt Cage drei weitere und lässt das Ganze mit wieder nur fünf Tönen enden.
Aber der Weg auf die Konzertbühne war noch weit. Nach Cage blieb es erst mal weitere 30 Jahre lang weitgehend still ums Spielzeugklavier. Erst in den 1970er-Jahren begannen Komponist*innen wieder, sich für die kleine Klimperkiste zu interessieren. Pionier war der Düsseldorfer Bernd Wiesemann, der – von Cage inspiriert – mit einem 45-Minuten-Programm in Büchereien, Kneipen, Volkshochschulen und Ausstellungen auftrat. In den USA wiederum machte sich erst 1997 die „Queen of the Toy Piano“ (New York Times), Margaret Leng Tan, ums Spielzeugklavier verdient und spielt auf ihrem Album „The Art of Toy Piano“ auch – Kunst! Kunst! Kunst! – Beethovens Mondscheinsonate. Heute gilt Leng Tan als versierteste unter den Spielzeugpianist*innen.
Aber keiner hat sich in seinem Werk intensiver mit dem Toy Piano beschäftigt als der österreichische Komponist und Klangkünstler Karlheinz Essl. Neun zum Teil große Werke hat er in den vergangenen zwölf Jahren geschrieben: Solowerke, Ensemblestücke, mit und ohne Live-Elektronik oder Zuspielung. Auch für Essl liegt der Reiz in der Reduktion und darin, dass der Klang noch nicht konnotiert ist, nicht bei jedem Ton die ganze Geschichte des Klaviers mitklingt. Und erstmals hat Essl Cages Toy-Piano-Suite mit der Idee der Präparierung zusammengebracht, versteckte unter anderem einen Lautsprecher und einen komplizierten Kanon-Generator darin, damit das Instrument „aus sich heraus explodiert und aus den Gedärmen des Klaviers etwas ganz, ganz wunderbar schillernd Buntes entsteht“, sagt Essl.
Genug Stoff also gibt es fürs vierte „Non-Piano/Toy Piano Weekend“ in Hamburg, das dem erwachsen gewordenen Spielzeug am kommenden Wochenende zwei Konzertabende widmet. Stargast: das Schoenhut-Pink-Midi-Butterfly-Toy-Piano. Ein ernst zu nehmendes Instrument ist das aber gar nicht mehr: nur ein Keyboard im Toy-Piano-Kasten, mit USB-Port für die Karaoke-Software. Robert Matthies
„Non-Piano/Toy Piano Weekend“ in Hamburg: Fr, 10. 11., 19.30 Uhr, Meßmer Momentum, Am Kaiserkai 10; Sa, 11. 11., 20 Uhr, Resonanzraum, Feldstraße 66
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