daily dope (101): Viel Nada und ein bisschen Gaga
Die Nationale Anti-Doping-Agentur rechtfertigt sich vor dem Bundestagssportausschuss in der „No-Show-Affäre“
Die Kampagne lief in der letzten Zeit auf Hochtouren. „Ist die Dopingbekämpfung in Deutschland am Ende?“, wurde auf Podiumsdiskussionen ernstlich gefragt. In Zeitungen wurde der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) ein Gebaren wie in Bananenrepubliken unterstellt: intransparent, korrupt und uneinsichtig. Köpfe sollten rollen, vor allem der des Nada-Geschäftsführers Roland Augustin. Grund dafür war ein ARD-Bericht über angeblich hangargroße Lücken im deutschen Kontrollsystem. Die Journalisten Hajo Seppelt und Jo Goll hatten sich an die Fersen von Dopingkontrolleuren der Firma PWC geheftet und nach Akteneinsicht festgestellt, dass angeblich knapp 400 Athleten nicht angetroffen worden seien.
Das wurde zum Skandal, weil die säumigen Athleten offenbar ungeschoren davongekommen sind. Alle Welt erregte sich. Sogar der oberste Dopingbekämpfer, der Kanadier Dick Pound, empörte sich über das Zahlenwerk, dabei ist die Quote der erfolglosen Tests bei der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) viel höher. Im Durchschnitt werden von der Nada 8,7 Prozent der Sportler nicht angetroffen, bei der Wada nicht weniger als 30 Prozent.
Am Mittwochnachmittag legte die deutsche Agentur nun ihre Zahlen im Sportausschuss des Bundestages vor – und versachlichte eine Debatte, in der fast nur noch populistische Untertöne zu vernehmen waren.
Roland Augustin revidierte die kursierende Zahl von 400 sogenanten Missed Tests, also erfolglosen Dopingstests, die zwingend zu einer Sanktion des Athleten führen müssen. Grundsätzlich hätte es der ARD-Dokumentation gut getan, wenn sie mit einiger Trennschärfe zwischen den sogenannten No Shows und Missed Tests unterschieden hätte. Das war leider nicht der Fall und hat zu erheblichen Missverständnissen im Nachhinein geführt. Bei einer No Show werden Athleten nicht angetroffen, aber es ist noch völlig offen, ob das dem Sportler auch wirklich anzukreiden ist. Ist er nicht in der Sporthalle gewesen, weil er sich bewusst und vorsätzlich dem Dopingtest entziehen wollte, oder saß er nur mit seiner Freundin im Café oder ließ sich beim Physiotherapeuten die Wadln durchkneten? Hatte er das Handy zur Abwehr der störenden Tester ausgeschaltet oder war schlichtweg der Akku alle? No Shows müssen in Kleinarbeit nachgearbeitet werden. In der Mehrzahl der Fälle werden die Athleten entlastet, eher selten wird eine No Show als Missed Test gewertet. Dann wird es freilich brenzlig für den Sportler. Augustin stellte die Zahl von 201 „Meldungen“ im Jahr 2006 vor. Davon könnten aber nur 40 als Missed Tests gewertet werden. Diese Fälle werden nun – verspätet – an die Sportverbände weitergegeben.
Heute treffen sich Vertreter beider Seiten. Den Sportverbänden obliegt die Bestrafung der Spitzensportler. Diese ist freilich so uneinheitlich geregelt wie der Umgang mit den Missed Tests. An dieser Stelle liegt das Versäumnis der Nada, der seit vier Jahren bestehenden chronisch unterfinanzierten Stiftung zur Dopingbekämpfung. Sie hat jene Missstände und Versäumnisse verwaltet, die im System der Dopingbekämpfung liegen – und viel zu langsam beseitigt werden. „Wir waren zu nett“, sagte Augustin im Fraktionssaal der Grünen und räumte durchaus Fehler ein. Es müssten Veränderungen und Vereinheitlichungen her. Das ist richtig: und zwar dringend. Denn der Umgang der Nada mit nicht angetroffenen Athleten ist lax. Die 40 Fälle hätten längst auf dem Tisch von Sportgerichten landen müssen. Das hat Augustin zu verantworten. Es passte auch nicht ins Bild der Präsentation, dass der Eindruck entstand, die Nada manipuliere ihre Zahlen. Rechnet man den Prozentsatz von 8,7 Prozent erfolgloser Tests hoch auf die Gesamtzahl der Dopingtests 2006, dann kommt man auf die Zahl von 385 „Meldungen“. Augustin präsentierte aber nur 201 Meldungen. Welche Zahl stimmt nun? Was ist mit 184 Fällen geschehen? Wurden sie unter den Tisch gekehrt?
Das Verdienst der ARD-Dokumentation liegt darin, Licht ins Dunkel der Testpraxis gebracht zu haben – auf breiter öffentlicher Basis. In den Details der Dopingbekämpfung geht es bei weitem nicht so streng und eindeutig zu, wie es sich der Sportfan wünscht. Was könnte getan werden, um die Systemfehler zu beseitigen? Die Wada, die den Umgang mit den Missed Tests bisher an die jeweiligen Länderagenturen delegiert hat, müsste verbindliche Standards formulieren. Und die Nada sollte die deutschen Topathleten, etwa 3.000 bis 3.500 Sportler, vertraglich dazu verpflichten, ihre Daten und ihren Aufenthaltsort per Internet, Fax oder SMS jederzeit bekannt zu geben.
Das erfolgreiche Krisenmanagement entscheidet über die künftige Glaubwürdigkeit der Nada. Der Auftritt vor den Sportpolitikern war ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.
MARKUS VÖLKER
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