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corona in hamburg„Viele kriegen langsam eine dünne Haut“

Redebedarf? Telefon­seelsorge der Diakonie: ☎ 0800/ 111 0 111;

Telefon­seelsorge der Caritas: ☎ 0800 / 111 0 222;

Nummer gegen Kummer (für Kinder und Jugendliche): ☎ 116 111

Interview Hagen Gersie

taz: Babette Glöckner, möchten Sie manchmal die eigene Telefonseelsorge nutzen?

Babette Glöckner: Ich selber: nein. Weil ich ein sehr stabiles Umfeld habe, also Menschen, auf die ich privat zurückgreifen kann. Ich bin total begeistert von dem, was ich beruflich mache und muss auch nicht ins Homeoffice, wie viele, viele andere. Ich bin also nicht repräsentativ. Ich weiß aber vom Team, dass das durchaus anders ist.

Wer wendet sich Ihrer Erfahrung nach an die Telefonseelsorge?

Ich würde sagen, das lässt sich grob in zwei Personenkreise einteilen: die einen, die uns manchmal über Jahre fast täglich anrufen und die uns brauchen, weil sie sehr einsam sind. Wenn es ihnen besonders schlecht geht, wissen die genau, dass wir rund um die Uhr erreichbar sind.

Und der andere Kreis?

Das sind die, die sich zunehmend durch Corona ans Telefon setzen, weil sie in heftige Krisen geraten: finanziell oder auch beziehungsmäßig. Wir haben auch mehr Kinder am Telefon als vor Corona, obwohl die auch ein eigenes Seelsorgetelefon haben: die Nummer gegen Kummer. Das sind Menschen, die wirklich von Corona betroffen sind und so eine Hoffnungslosigkeit und Depression haben.

Was sind hauptsächlich Gründe, dass mehr Menschen während der Pandemie anrufen?

Foto: Diakonie Hamburg/Tina Taege

Babette Glöckner62, ist Pastorin und Pastoralpsychologin und leitet die evangelische Telefonseelsorge Hamburg. Gut tun ihrer Seele Jazz und James Bond.

Die zunehmende Vereinsamung. Wenn man einen Canyon in den Flur rennt, weil man jetzt wirklich wieder raus will und das nicht kann – und es dann auch mit den eigenen Gefühlen zu tun bekommt. Also mit Ängsten und Wut, mit Ungeduld und Unbeherrschtheit, was sich auf die Beziehung auswirkt. Auch daraus kann zunehmende Einsamkeit resultieren. Viele Menschen kriegen langsam eine dünne Haut.

Wie gehen Sie als Team mit der zusätzlichen Belastung um?

Wir sind ja nicht weniger betroffen. Auch im Team gibt es Selbstständige, die um ihre Existenz bangen. Mütter, die jetzt zu Hause Homeschooling machen mit ihren Kinder und dazu noch im Homeoffice sind. Da müssen wir drauf achten. Es geht darum, auf sich selbst zu achten, gut Pausen zu machen zwischen den Telefonaten und auch miteinander im Gespräch zu bleiben – Teampflege, gute Übergaben und regelmäßige Supervision. Jetzt zwar nur per Video, aber weiterhin alle 14 Tage. Gestern hatten wir einen Ausschuss, der sagte: „es geht uns eigentlich allen gut“. Da bin ich ganz stolz drauf, übrigens.

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