corona in hamburg: „Was uns vereint, ist die Krise“
Interview Pascal Patrick Pfaff
taz: Herr Riek, wieso protestierten Köch*innen und Kellner*innen vor dem Rathaus mit Quietscheentchen?
Oliver Riek: Das liegt vor allem daran, dass es derzeit ein Versammlungsverbot gibt und wir uns nicht selbst hinstellen können. Es gibt eine vergleichbare Aktion in Dresden: dort haben sie Stühle hingestellt. Da hat sich die Gewerkschaft NGG gedacht, es mit Quietscheentchen und Osterhasen zu machen. Das ist ein Zeichen des Protestes.
Was soll denn dieser Protest eigentlich genau bezwecken?
Wir wollen auf eine Situation hinweisen: Der Hotel- und Gaststättenverband fordert zwar Milliarden an Subventionen, befürwortet gleichzeitig aber nicht die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes.
Dies beträgt normalerweise 60 beziehungsweise 67 Prozent brutto. Ihre Kolleg*innen fordern aber 90 Prozent. Ist das in Anbetracht anderer Branchen, die nur 67 Prozent bekommen, nicht ein bisschen unfair?
Nein. Wir reden bei der Gastronomie von einem Niedriglohnsektor. Ungefähr 80 Prozent verdienen unter 2.000 Euro brutto. Wenn Sie davon 60 Prozent nehmen, dann gehen die Leute vielleicht mit 850 Euro nach Hause. Die Branche hat letztes Jahr 93 bis 94 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Insofern finde ich das nicht unfair.
Der Betrag, den Sie genannt haben, liegt nur wenig über der momentanen Armutsgrenze von 781 Euro.
Die Leute müssen von 850 Euro ihre Miete zahlen und ihre Fixkosten tilgen. Wenn deren Gläubiger keine Stundung akzeptieren, gehen sie leer aus. Dann wissen sie nicht, wie sie überleben sollen und müssen Grundsicherung beantragen. Das ist der Politik nicht klar.
Macht die Abhängigkeit vom Trinkgeld die Situation gerade besonders schwierig?
Trinkgeld ist für die Arbeitgeber über die Jahre ein Argument gewesen, weniger zu zahlen. Was nicht bedacht wird, ist, dass Trinkgeld nicht in die Rentenkasse einfließt. Man hat einen Schnitt: Der ist zwar nach Jahreszeit und Betrieb unterschiedlich, aber die Leute rechnen damit. Sie gehen davon einkaufen. Ich bin fast der Meinung, man sollte Trinkgeld abschaffen. Stattdessen müssen die Löhne steigen.
Auch dafür protestieren Sie?
Ja. Das Problem ist aber, dass es in der Systemgastronomie leichter ist, zu demonstrieren. Bei McDonald’s können Sie die Mitarbeiter eines großen Konzerns mobilisieren. Die klassische Gastronomie ist aber dezentral organisiert. Das macht es schwieriger. Was uns jetzt ein bisschen vereint, ist diese Krise.
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