piwik no script img

corona in bremen„Man bekommt nur die Botschaften“

Foto: Manfred Schneider

Frank Winter63, ist Psychologe und fachlicher Leiter beim Verein Täter-Opfer-Ausgleich Bremen.

Interview Dominika Vetter

taz: Herr Winter, wie findet Konfliktschlichtung bei Ihnen momentan statt?

Frank Winter: Wir arbeiten momentan mehr in Pendeldiplomatie. Wie Diplomaten, die zwischen verfeindeten Ländern hin und her pendeln, deren Regierungen sich weigern, an einen Tisch zu kommen. Das heißt, wir führen persönliche und telefonische Einzelgespräche, aber Verhandlungen über Wiedergutmachungen in gemeinsamen Gesprächen zwischen Geschädigten und Beschuldigten gibt es aktuell nicht.

Welche Auswirkungen hat das?

Es ist etwas mehr Arbeit für uns, aber vor allem schlechter für die Geschädigten. Wenn es kein gemeinsames Gespräch gibt, haben die Geschädigten kein so sicheres Gefühl, ob eine Entschuldigung des Beschuldigten auch ernst gemeint ist. Pendeldiplomatie ist übertragungsfrei, so wäre der Fachbegriff. Man kann die Gefühle des anderen nicht selbst erleben, sondern bekommt nur die Botschaften überbracht.

Durch das Kontaktverbot fehlt also ein wichtiges Element?

Ja. Kriminalität passiert zumeist vor der Haustür, Täter und Opfer kennen sich auch über die Tat hinaus. Als Wiedergutmachungsmaßnahmen gibt es bei uns, wenn es besonders gut läuft, gemeinsame Unternehmungen: ins Kino gehen, zum Fußball oder Essen. Wenn Betroffene sich für etwas Gemeinsames verabreden, ist es das beste Zeichen, dass eine Aussöhnung erfolgt ist und keine Folgekonflikte stattfinden. Momentan ist so etwas gar nicht möglich.

Beraten Sie in Konflikten, die in einem Zusammenhang mit Corona stehen?

Momentan eher wenige, weil die Strafverfolgung auch immer einen gewissen Nachlauf hat. Coronabedingt können sich aber familiäre und häusliche Konflikte sehr zuspitzen. Aktuell gibt es Vorkommnisse, dass Jugendliche auf ihre Eltern losgehen. Im Einzelfall auch mit Waffeneinsatz. Vielleicht hätte sich so etwas sonst nicht zugespitzt, wenn die Jugendlichen zur Schule und die Eltern zur Arbeit gehen könnten. Gewaltkriminalität hat sich durch Corona vor allem in die eigenen vier Wände oder die Nachbarschaften verlagert. Bei Paargewalt haben wir noch keinen Anstieg beobachtet, bei Familienkonflikten schon.

Sie haben normalerweise auch ein Schulprojekt. Wie unterstützen sie Schüler*innen momentan?

Es wenden sich Lehrkräfte an uns, die Schüler*innen nicht erreichen können. Manche Lehrer hören auch von Gewalt zu Hause, weil ihnen berichtet wird, dass es dort Schläge gibt, wenn Hausaufgaben nicht gut genug sind. Wir kontaktieren dann die Familien und laden zur Beratung ein, auch telefonisch. Das wird gut angenommen, denn die Menschen haben Sehnsucht nach Austausch. Kontakthalten ist aktuell besonders wichtig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen