piwik no script img

blick nach vornBerlin 2002

Aufbruch, Stillstand oder Scheitern – mit Jahresbeginn wird die Koalition von SPD und PDS Gestalt annehmen. Für manche ein böser Traum, der nun Wirklichkeit werden soll. Obgleich es absehbar war, sind die nun geäußerten Bedenken groß. Untergangsszenarien im Westen. „Jetzt kommen wir“ und Triumphlächeln im Osten. Dazwischen eine SPD, die etwas Angst vor dem eigenen Mut hat. Und wenige, die wie Richard von Weizsäcker hinsichtlich der rot-roten Gemeinschaft zu „Respekt vor dem Wähler“ ermahnen. Dessen Entscheidung war deutlich: als Folge des Finanzskandals 17,1 Prozent Verlust für die CDU.

Kommentar von ADRIENNE WOLTERSDORF

Klare Gewinner: die SPD und die PDS, mit Zugewinnen von jeweils mehr als acht Prozent in den beiden Stadthälften. Rein rechnerisch ist die rot-rote Koalition so „stark“, wie es eine Neuauflage der alten CDU-SPD-Koalition wäre. Nun muss man sich fragen, was die Chefstrategen der Wende, der Kreuzberger Funktionär Peter Strieder und der lächelnde Klaus Wowereit, der wendigen populistischen Gangart eines Gregor Gysi und der buchhalterischen Akuratesse eines Harald Wolf entgegenzusetzen haben. Sind sie stark genug, den SED-Erben im Demokratiediskurs notfalls die rote Karte zu zeigen? Die Präambel des Koalitionsvertrages wird hoffentlich verdeutlichen, ob die PDS im bundesrepublikanischen System „angekommen ist“.

Nicht nur auf dem Party-Parkett wird nun um die Wette geglänzt. Auch auf die Kiezrhetorik wird es ankommen. Wer kann bei den wenigen verbleibenden Mitteln bei der eigenen Klientel noch punkten? Ist da Eingkeit in der Notlage zu erwarten, oder droht der bekannte Streit ums Detail? Möglich, dass die rot-rote Stadtregierung für sich das sozialverträgliche Sparen reklamiert und die soziale Kälte dem Bund zuschreiben wird. Der Kanzler wird sich das angesichts der bevorstehenden Bundestagswahlen kaum bieten lassen. Die rot-roten Beispiele in den benachbarten Bundesländern lassen zumindest für die Haltbarkeit in Berlin hoffen. Bei ausbleibendem wirtschaftlichen Erfolg zeichnen sie sich durch erstaunlichen Pragmatismus aus.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen