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bernhard pötter über KinderAbsolution auf der Enterprise

Sie haben Angst vor Präimplantationsdiagnostik? Dann sollten Sie dringend mal zur Ultraschalluntersuchung gehen

„Kommen Sie rein“, sagt Commander Leonard McCoy, genannt „Pille“, „und machen Sie schon mal den Bauch frei.“ Meine Frau Anna nimmt Platz auf der Liege in der abgedunkelten Sanitätsmesse der USS Enterprise. Pille schmiert ihren Bauch mit einem Gel ein und richtet seine unbegreiflichen Instrumente darauf. Dann rauscht, flimmert und flackert der Bildschirm an der Wand, aus dem Lautsprecher kommt ein Brummen und Pochen. Wir nehmen Kontakt auf.

Aus dem Fernseher schaut uns eine fremde Lebensform an. „Da ist Otto“, sagt Anna. Otto ist der Arbeitstitel für unser zweites Kind. Unser Erstgeborener, Jonas, hat den Namen ausgesucht und beharrt darauf, er habe auch ein Baby Otto im Bauch. Trotzdem haben wir ihn heute in der Kita gelassen und sind allein zum „großen Ultraschall“ gekommen. Langsam merke ich, dass Pille gar nicht Pille ist, sondern eine freundliche Ärztin. Trotzdem geht der Ausflug in eine Welt jenseits meiner Vorstellungskraft weiter. Mir wird klar, was hier vor sich geht: Aus der Routineuntersuchung eines fünfmonatigen Embryos ist eine unheimliche Begegnung der anderen Art geworden. Otto wird auf Herz und Nieren getestet, wie man es an Bord der Enterprise nun mal mit Aliens macht, die einem in die Hände fallen. „Sehen Sie, Commander, es hat zehn Finger, genau wie wir!“

Das schemenhafte Bild eines unbekannten Lebens wabert durchs Bild, dazu rauscht der Pulsschlag aus dem Lautsprecher. Otto wird durchleuchtet, wie ich noch nie durchleuchtet worden bin: „Sehen Sie, die Gallenblase ist voller als der Magen!“ Aha. „Wollen Sie das Geschlecht wissen?“ Nein, danke. „Schließen alle Herzklappen?“ Hoffentlich. „Schauen Sie, wie es tritt!“ Aua, sagt Anna. „Wie sieht es im Gehirn aus?“ Will ich das wirklich wissen? Eine halbe Stunde sitzen wir in dem dunklen Raum vor der Mattscheibe und bibbern. Lieber Gott, lass das Kind gesund sein. Meinetwegen kann es dann auch PorschefahrerIn werden.

Vielleicht liegt es ja an mir. Wenn ich zum Arzt gehe, will ich hören: „Stellen Sie sich nicht so an, Sie sind gesund. Gehen Sie nach Hause.“ Hier aber ist schon das kleinste Zögern der Ärztin ein Alarmsignal: War da was? Ist was nicht in Ordnung? Verdammt, warum schaut sie sich so intensiv die Wirbelsäule an? Sieht so nicht ein falsch gewachsenes Becken aus? Warum liegt das Baby so verkrümmt da? Ist der Kopf zu klein? „Ihr Kind hat große Füße“, sagt die Expertin. „Aber es ist kerngesund.“

Erster Gedanke: Uff. Zweiter Gedanke: Was wäre, wenn wir die Absolution nicht bekommen hätten? Dann wären wir wochenlang mit dem Verdacht rumgerannt, unser Kind sei krank. Dann hätten wir auf dem Sofa gesessen und überlegt, was wir machen. Und ob wir es hinkriegen, ein möglicherweise behindertes Kind großzuziehen. Und ob man nicht über eine Abtreibung nachdenken sollte.

So wie bei Ludwig. Oder bei Enrico. Die beiden sind so alt wie Jonas und genauso gesund und übermütig. Aber bei beiden hieß die Analyse des großen Ultraschalls: Verdacht auf Down-Syndrom. Es wäre ja noch Zeit für einen Abbruch, sagten die Ärzte. Und schickten die Mütter mit dieser Nachricht nach Hause. Da saßen sie dann und heulten und dachten an ihr Kind, das sie gesehen hatten, und an den Verdacht. Und brachten vier Monate später zwei völlig gesunde Kinder zur Welt.

Die umstrittene Präimplantationsdiagnostik (PID) öffne der „Selektion von Kindern Tür und Tor“, hieß es bei der Generaldebatte im Bundestag am vergangenen Donnerstag. Aber ist die nicht bereits in vollem Gange? Unsere beiden Kinder sind keine Risikoschwangerschaften, trotzdem hat uns die Frauenärztin hierher geschickt. Und da sitzen wir in diesem Space-Labor und bekommen das Innerste unseres Kindes nach außen gedreht. Wir hoffen auf den Freispruch einer höheren Instanz.

Gleichzeitig zweifle ich ein bisschen an der Allwissenheit der Mediziner. Die versprechen mir alle Träume einer schönen neuen Lebenswelt. Und können dann Ultraschallbilder wie bei Ludwig und Enrico anscheinend auch völlig falsch interpretieren. Zum Glück kann Pille nur in den Kopf meines Sohnes sehen und nicht in meinen.

Als glückliches Paar lassen sich Anna und ich von der USS Enterprise wieder auf die Erde beamen. Draußen wollen wir im strahlenden Sonnenschein auf unseren gesunden Nachwuchs anstoßen. Als wir die Raumschiff-Arztpraxis verlassen, steht im Hausflur ein Paar und hält sich stumm umarmt. Diskret drücken wir uns an den beiden vorbei. Bloß nicht hingucken, denke ich. Wer weiß, welches Urteil der Commander den beiden gerade verkündet hat.

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