piwik no script img

bernhard pötter über Kinder Zu Gast bei Bauer Potemkin

Ferien auf dem Bauernhof sind toll – gerade weil es dort keine Kühe oder Hunde gibt, die Lärm machen könnten

Die blühenden Landschaften hatten es Hanna angetan. Auf dem Weg zum Badesee begeisterte sie sich von ihrem Kindersitz auf dem Fahrrad aus für die Weide, auf der die Grillen zirpten: „Guck mal, die Wiese macht Musik.“ Jonas war dagegen weit prosaischer als seine Freundin. Oben auf dem Hügel konnte man deutlich riechen, dass der Bauer gerade gedüngt hatte. Mein Sohn zog die Nase hoch und die Stirn kraus: „Papa, was riecht da so? Haben die Kühe gekotzt?“

Was erwarten Stadtkinder auf dem Bauernhof? In etwa das: Im Stall muhen die Kühe immer lauter, die Ferkelchen drängeln sich an ihre Mutter und schnüffeln mit den Steckdosennasen im Trog. Bauer Nolte rattert mit dem Mähdrescher auf den Hof, hinter ihm fährt die Bäuerin den Heuwender in die Scheune. Die Hunde bellen, die Bäume werfen lange Schatten im weichen Sonnenlicht, und die Bauerskinder angeln nebenan im Bach nach Forellen.

Wie gut, dass Hanna Geburtstag hatte, als wir zwei Wochen auf dem Bauernhof im Allgäu waren. Da bekam sie nämlich ein Buch geschenkt: „Auf dem Bauernhof“. Da gab es die muhenden Kühe, die drängelnden Ferkel, die mähdreschenden Bauern, die heuwendenen Bäuerinnen und die angelnden Kinder.

Unser Bauernhof war anders. So ohne Bauern irgendwie. Keine Kühe im Stall, kein Ernteeinsatz, kein Schweinefüttern.

Dabei genau das, wovon gestresste Städter träumen: eine heimelige Wohnung unterm Dach, tollstes Badewetter, nette Vermieter, die den Hof beackern: Pferde, Hühner, Ziegen, Kaninchen, Katzen. Jonas und Hanna waren den ganzen Tag beschäftigt, die jungen Katzen von einer Hofecke in die nächste zu tragen, zu streicheln und mit Brekkies zu füttern. „Meine größte Sorge ist, dass sie am Ende des Urlaubs unbedingt so ein Vieh mit nach Hause nehmen wollen“, stöhnte Hannas Vater.

„Herrlich hier“, sagte Anna, als sie sich auf unserem Balkon zur Mittagsruhe hinlegte. „Vor allem ist es so ruhig.“

Genau. Gemuht wurde nicht, weil es keine Kühe gab. Kein Hofhund verbellte uns das Trommelfell, keine Erntemaschine mähte uns auf dem Weg in die Stadt nieder. Die Pferdestärken schlummerten in den Scheunen: Traktoren, Bagger, eine Walze, eine Planierraupe. Die Ziegen bekamen die Küchenabfälle oder extra im Supermarkt gekaufte Möhren. In der kleinen Allgäustadt, wo wir Urlaub machten, gibt es nur noch fünf Bauern. Die anderen leben von den Ferienwohnungen, die inzwischen dort heimisch geworden sind. Die Landschaft sieht aus, als würden hier Bauern wohnen. Aber in Wirklichkeit wohnen hier Touristen wie wir, die sich von den Landwirten ihre Ferienkulisse mit Bauernhof und Streichelzoo zimmern lassen.

Und das ist gut so. Wir tranken Milch aus dem Pappkarton und aßen Käse aus der Plastikfolie. Der Hahn krähte zu sozialverträglichen Uhrzeiten. Niemand musste die Kinder aus Jauchegruben oder Getreidesilos retten, keine Kuh schubberte ihren räudigen Rücken am Außenspiegel unseres Autos. Rücksichtsvoll verschonte uns die Landbevölkerung mit den Details über das Leben auf dem Lande. Was passiert mit den Kälbchen, die im Anhänger beim Nachbarhof abgeholt wurden? Und wofür sind die Einwegspritzen gut? Sie lagen auf dem Kälbermasthof herum, und mir tränten die Augen, als ich versuchte, die klein gedruckten Hinweise zu Risiken und Nebenwirkungen bei der Rinderzucht zu lesen.

Auch die Tiere sind Teil der Inszenierung und halten sich brav an die Spielregeln: Wir stehen hier so malerisch und süß auf der Weide rum, dafür dürft ihr uns mit Löwenzahn füttern. Das raue Leben der Wildbahn brach in unser entspanntes Hier und Jetzt nur ein, als Jonas an zwei Tagen hintereinander von Wespen ins selbe Ohr gestochen wurde. „Warum sind die so böse zu mir?“, jammerte er. „Weil sie was von deinem Eis haben wollen“, sagte Anna. Das verstand unser Sohn: Wenn es darum geht, Süßigkeiten zu teilen, dann fließen schon mal Tränen.

Fast hätte unsere Gastgeberin am letzten Tag auch noch die Idylle entzaubert. Was denn mit den Haflingern passiere, die auf ihrer Weide standen, wollte ich wissen. „Ach, die Stute wird bald wieder trächtig, und das Fohlen kommt dann zum Schlachter, da machen sie Wurst draus“, sagte die Bäuerin. Ich hielt den Atem an: Das niedliche Fohlen, das immer so lustig herumtollte, geschlachtet und verwertet? Was würde mein Sohn, der Pferdeflüsterer, dazu sagen, der nicht genug vom Ponyreiten kriegen kann? Jonas holte tief Luft: „Mama, ich will auch mal Pferdewurst essen!“

Fragen zu Kindern?kolumne@taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen