berliner szenen: Herr H. und der Puff (II)
Variabel ist gut
Herr H., mein Vermieter, lauerte schon wieder hinter seinem Ladenfenster. Es war 9 Uhr, und mein Sohn und ich auf dem Weg zum Kindergarten. „Wir machen jetzt eine Pension in das Ladengeschäft.“ – „Ach, doch keinen Puff?“ – „Na ja, das wird variabel sein, acht Betten sollen da rein, die werden dann einzeln vermietet.“ Eine Pension also. Anscheinend gab es doch juristische Probleme. Als Geschäftsführer wünsche er sich Ramon, so Herr H. weiter, der wäre der Richtige dafür. Ich habe da Zweifel.
Ramon ist der Besitzer der italienisch-mexikanischen Pizzeria zwei Häuser weiter. Ein gedrungener, Baseballkappen tragender Araber mit Hang zur Romantik. Eine Woche nach dem Tod von Lady Di änderte er seine Speisekarte. Statt eines Gondolieres im Mondschein auf venezianischen Kanälen ziert seitdem die „Königin der Herzen“ seine Pizza- und Taco-Angebote, umrahmt von Rosenblüten und „Candle in the Wind“.
Die wichtigste Frau in seinem Leben neben Lady Di ist seine Freundin. Ramon liebt sie über alles. Er war total fertig, als sie ihn vor einiger Zeit verlies. Die tragische Geschichte kam auch auf seine Speisekarte und las sich so: „Liebe Freunde, nach einem Jahr bin ich nun wieder zurück und möchte mit Euch die Wiedereröffnung feiern. Es war ein schweres Jahr für mich. Meine Freundin hat mich verlassen und in einer schweren Operation haben sie mir meine Niere rausgenommen. Euer Ramon.“ Darunter ein Foto von ihm, mit schicker Sonnenbrille am Steuer seines Sportwagens sitzend. Er hatte noch einmal Glück: seine Freundin kam wieder zurück.
Irgendwie passt die Vorstellung von Ramon als Geschäftsführer einer „Pension“ nicht. Einer, der so sehr an die Liebe glaubt, verkauft sie nicht. Aber Herr H. lässt nicht locker, wie mir Ramon letzte Woche bei einem Glas Wein erzählte. Mein Vermieter scheint trotz aller Widrigkeiten fest entschlossen, seine Lagerräume Gewinn bringend zu nutzen. Seit einiger Zeit höre ich wieder Klopf- und Bohrgeräusche aus dem Laden unter mir. Vor dem leeren Laden reihen sich Kloschüsseln und Handwaschbecken auf dem Gehsteig. Es entwickelt sich zu einer spannenden Geschichte. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich schon fast enttäuscht bin, wenn Herr H. einfach nur guten Tag sagt.
ELKE ECKERT
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