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berliner szenenRecherche vorm Konzert

Vorbildliche Journalistin

Vor ein paar Tagen arbeitete ich während des Konzertes einer befreundeten Band an deren CD- und T-Shirt-Verkaufsstand. Die neue CD ging oft über den Tisch. Neben dem Verkaufstisch hielt sich vor dem Konzert eine ganze Weile eine junge Frau auf, die unsicher zu mir herüberschaute. Bald fiel sie mir auf. Wenn man weiß, wie ich aussehe, ist klar, warum ich sicher ausschließen konnte, dass es sich um Liebe auf den ersten Blick handelte. Daher erschien es mir wahrscheinlich, dass diese junge Frau zu wenig Geld hatte.

Doch dem war nicht so. „Hallo“, sagte sie zu mir, „was weißt du so über die Band, die heute spielt. Machen die House oder Pop oder was?“ Ich wunderte mich zwar, dass jemand, der das nicht wusste, zum Konzert gekommen war. Andererseits haben manche Leute auch mehr Geld, als sie brauchen, und schauen in der Welt umher. Also antwortete ich, dass es sich um eine Rockband handele und ihre neue CD soeben erschienen sei usw. usf. Dass es Rock zu hören gab, enttäuschte sie zwar, war aber nicht wichtig. Sie brauche halt Informationen, denn sie solle berichten. Auch die Band sollte sie interviewen. Allerdings hatte sie noch nie auch nur irgendetwas von dieser Band gehört. Sie hatte sich auch nicht die Mühe gemacht, ein paar Zeitungsartikel über diese Band zu lesen. Kurzum: Sie war so uninformiert wie möglich. Und so ging sie fröhlich zum Interview. Nun ist es nicht so, dass diese junge Reporterin im Auftrag einer Boulevardzeitung kam. Oder von einer jener Osttageszeitungen, deren schlecht bezahlte AutorInnen pro Tag sechs Artikel abliefern müssen. Nein, diese junge Frau kam von einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt. Ihr Beitrag wurde gesendet. Er war nicht wirklich informativ.

JÖRG SUNDERMEIER

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